Du holest, liebe Nachtigall von Johann Gottfried Herder

Du holest, liebe Nachtigall,
So tief aus Herzens Grunde
Den süßen Lieb- und Lobesschall;
Und ich mit Herz und Munde
Bin früh und spät und weit und breit
Stumm allezeit.
 
Du schwingest, liebe Lerche, Dich
So fröhlich
Hin in die kalte Morgenluft,
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Verlierest Dich
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In Weihrauchduft
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Und schwebst, ein unsichtbarer Schall,
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Und singst Natur
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Und grüne Flur
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Und ich bin ohne Hall!
 
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So will ich denn mit wehmuthvollem Schweigen,
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O Vater der Natur,
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Auf jeder Deiner Spur
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Zum stummen Danke mich auf Deinem Fußtritt neigen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.4 KB)

Details zum Gedicht „Du holest, liebe Nachtigall“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
19
Anzahl Wörter
85
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Du holest, liebe Nachtigall“ wurde von Johann Gottfried Herder, einem Vertreter der deutschen Aufklärung und einer der wichtigsten Autoren der Sturm-und-Drang-Epoche, geschrieben. Diese Epoche fand etwa in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts statt und war durch ein Aufbegehren gegenüber gesellschaftlichen Normen und die Betonung individueller Freiheit geprägt.

Das Gedicht vermittelt zunächst eine arkadische Atmosphäre, in der Tiere und Natur eine Hauptrolle spielen. Auf den ersten Blick scheint es eine einfache Beobachtung der Natur zu sein, in der das lyrische Ich die Gesänge von Vögeln betrachtet und diese mit seiner eigenen Stummheit kontrastiert.

Im weiteren Verlauf gibt das lyrische Ich jedoch seiner Stummheit eine tiefere Bedeutung. Es scheint, dass der Protagonist seine eigene Unfähigkeit zum Singen beklagt und gleichzeitig die Schönheit und Ausdruckskraft des Vogelgesangs bewundert. Dies könnte eine Metapher für die Fähigkeit sein, sich kreativ auszudrücken oder Gefühle zu artikulieren, die das lyrische Ich bei sich selbst vermisst. Die endgültige Wendung hin zur Anbetung der Natur und ihres Schöpfers deutet auf eine tiefere spirituelle Dimension und eine Form der Ergebenheit oder Demut hin.

Das Gedicht ist in freien Versen verfasst, ohne strikte Reime oder ein durchgängiges Metrum. Diese Form erzeugt einen eher freien, fließenden Rhythmus, der gut zur Darstellung von stimmungsvollen, introspektiven Inhalten passt. Bei der Sprachwahl dominiert eine einfache, naturnahe Diktion, was den direkten und ungekünstelten Charakter des Gedichts unterstreicht. Die wiederholte Anrede der Vögel und der Natur zeigt eine enge Verbindung des lyrischen Ichs zur Natur und kann als Ausdruck einer romantischen Naturverehrung gedeutet werden.

Weitere Informationen

Johann Gottfried Herder ist der Autor des Gedichtes „Du holest, liebe Nachtigall“. Herder wurde im Jahr 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Im Zeitraum zwischen 1760 und 1803 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zu. Bei dem Schriftsteller Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Zwischen den Epochen Empfindsamkeit und Klassik lässt sich in den Jahren von 1765 bis 1790 die Strömung Sturm und Drang einordnen. Zeitgenössische Genieperiode oder Geniezeit sind häufige Bezeichnungen für diese Literaturepoche. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das philosophische und literarische Denken in Deutschland. Der Sturm und Drang kann als eine Protest- und Jugendbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale verstanden werden. Das Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung brachte die wesentlichen Merkmale dieser Epoche hervor. Die Vertreter der Epoche des Sturm und Drang waren häufig Autoren im jungen Alter, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. In den Gedichten wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Autoren aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die traditionellen Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.

Die Weimarer Klassik dauerte von 1786 bis 1832 an. Bedeutende Vertreter dieser Literaturepoche waren Goethe und Schiller. Die zeitliche Abgrenzung orientiert sich dabei an dem Schaffen Goethes. So wird dessen erste Italienreise im Jahr 1786 als Beginn der deutschen Klassik angesehen, die dann mit seinem Tod im Jahr 1832 ihr Ende nahm. Literarisches Zentrum und Ausgangspunkt der Weimarer Klassik (kurz auch häufig einfach nur Klassik genannt) war Weimar. Humanität, Güte, Gerechtigkeit, Toleranz, Gewaltlosigkeit und Harmonie sind die wichtigsten Themen. Die Weimarer Klassik orientiert sich am antiken Kunstideal. Typisch ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Vernunft und Gefühl. Die Dichter haben in der Klassik auf Gestaltungs- und Stilmittel aus der Antike zurückgegriffen. Die wichtigsten Vertreter der Weimarer Klassik sind: Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried von Herder.

Das vorliegende Gedicht umfasst 85 Wörter. Es baut sich aus 3 Strophen auf und besteht aus 19 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Gottfried Herder sind „An Auroren“, „An den Schlaf“ und „An die Freundschaft“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Du holest, liebe Nachtigall“ weitere 413 Gedichte vor.

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