Die Vorsehung von Johann Gottfried Herder

Und was soll mich Noth und Tod
Nur im Bilde schrecken?
Immer ja in Gottes Hand,
Wird sie stets mich decken,
Wohin der Weg sich wende.
Wer war es, der auf diese Welt
Mich, eh ich noch war, gestellt?
Der schon für mich gedacht,
Mich, was ich bin, gemacht,
10 
Mich der Welt, die Welt für mich bereitet?
11 
Ein Vater, ein Gott!
12 
Ewiger Gedanke!
13 
Vater, Gott, so bist es Du,
14 
Der stets mich leitet.
 
15 
Einst in meiner Mutter Schooß,
16 
Wen kannt' ich der Meinen?
17 
Aus der tiefen Fremde kam
18 
Ich in Fremde. Weinen
19 
War meine erste Stimme.
20 
War nie gekannt und doch gekannt,
21 
Schon geliebt und Kind genannt,
22 
Fand vor mir Vaterarm,
23 
Fand vor mir Mutterbrust,
24 
Fand selbst Schmerzen mir als Liebesbande,
25 
Als Bande ans Herz
26 
Väterlich bereitet.
27 
Schwachheit, Noth, die Thräne selbst
28 
Ward Band der Liebe.
 
29 
Ewiger, der also mich
30 
Ließ geboren werden,
31 
Du bist vor mir, leitest mich
32 
Auch zu bessern Erden,
33 
Hast meinen Tritt gezählet.
34 
Die Blüthe reifet dort zur Frucht;
35 
Dort find' ich, was mein Herz sich sucht
36 
Und hier nicht finden kann;
37 
Du nimmst den Sprößling an,
38 
Pflanzest weiter ihn auf Himmelsauen.
39 
Sei's Veilchen im Thal
40 
Oder Ceder Gottes,
41 
Alle, Alle blühen wir
42 
In Gottes Reiche.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Die Vorsehung“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
42
Anzahl Wörter
200
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht trägt den Titel „Die Vorsehung“ und stammt von Johann Gottfried Herder, einem der Hauptvertreter der deutschen Aufklärung und Wegbereiter der Weimarer Klassik. Er lebte von 1744 bis 1803, das Gedicht ist also vermutlich im 18. oder frühen 19. Jahrhundert entstanden.

Das Gedicht macht auf den ersten Eindruck einen tiefgründigen und spirituellen Eindruck. Es ist klar, dass das lyrische Ich eine Auseinandersetzung mit dem Sinn des Lebens und der Rolle Gottes darin führt.

Inhaltlich geht es in dem Gedicht um die Zuversicht und das Vertrauen des lyrischen Ichs in Gott und in die Vorsehung. Das lyrische Ich reflektiert die eigene Existenz und fragt, wer es in diese Welt gestellt hat, sogar bevor es überhaupt existierte. Die Antwort liegt in Gottes Hand, der immer schützend über alles wacht und leitet. Die innige Beziehung zwischen Gott und dem lyrischen Ich wird unterstrichen durch die Metapher der Vaterliebe und der mütterlichen Fürsorge.

Formal ist das Gedicht in drei Strophen zu je 14 Versen gegliedert. Die Sprache ist in gewissem Sinne altertümlich, was auf die Entstehungszeit des Gedichts hinweist. Die Sprache und der Ausdruck des Gedichts sind insgesamt bildreich und metaphorisch.

Die ausgedrückten Gedanken und die tiefe Spiritualität des Textes sind typisch für die Romantikepoche, in der das Seelenleben des Einzelnen und die innige Verbindung mit der Natur und Gott im Zentrum standen und das Streben nach Harmonie und Ganzheit als Ideal angesehen wurde. Insofern passt das Gedicht gut zu Herders philosophischem Ansatz, der die Schönheit und Einzigartigkeit jedes Lebewesens und jeden Moments hervorhebt und stets den göttlichen Funken darin sucht. Er spricht von einer ewigen, göttlichen Vorsehung, die unser Leben lenkt und uns leitet, unabhängig davon, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Die Vorsehung“ des Autors Johann Gottfried Herder. Herder wurde im Jahr 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. In der Zeit von 1760 bis 1803 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Bei dem Schriftsteller Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Sturm und Drang ist die Bezeichnung für die Literaturepoche in den Jahren von etwa 1765 bis 1790 und wird häufig auch Geniezeit oder zeitgenössische Genieperiode genannt. Diese Bezeichnung entstand durch die Verherrlichung des Genies als Urbild des höheren Menschen und Künstlers. Die Epoche des Sturm und Drang knüpft an die Empfindsamkeit an und geht später in die Klassik über. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das literarische und philosophische Denken im deutschen Sprachraum. Der Sturm und Drang „stürmte“ und „drängte“ als Jugend- und Protestbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale. Ein wesentliches Merkmal des Sturm und Drang ist somit ein Auflehnen gegen die Epoche der Aufklärung. Die Autoren des Sturm und Drang waren zumeist Schriftsteller jüngeren Alters, häufig unter 30 Jahre alt. Um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen, wurde im Besonderen darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Die Werke vorheriger Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Dennoch wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Schiller, Goethe und natürlich die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.

Die Weimarer Klassik war beeinflusst worden durch die Französische Revolution mit ihren Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Der Kampf um eine Verfassung, die revolutionäre Diktatur unter Robespierre und der darauffolgende Bonapartismus führten zu den Grundstrukturen des 19. Jahrhundert (Nationalismus, Liberalismus und Imperialismus). Die Weimarer Klassik lässt sich zeitlich mit der Italienreise Goethes im Jahr 1786 und mit dem Tod Goethes 1832 eingrenzen. Ausgangspunkt und literarisches Zentrum der Weimarer Klassik (kurz auch häufig einfach nur Klassik genannt) war Weimar. In Anlehnung an das antike Kunstideal wurde in der Klassik nach Harmonie, Vollkommenheit, Humanität und der Übereinstimmung von Inhalt und Form gesucht. In der Klassik wird eine sehr geordnete, einheitliche Sprache verwendet. Kurze, allgemeingültige Aussagen sind oftmals in Werken der Klassik zu finden. Da man die Menschen früher mit der Kunst und somit auch mit der Literatur erziehen wollte, legte man großen Wert auf formale Ordnung und Stabilität. Metrische Ausnahmen befinden sich immer wieder an Stellen, die hervorgehoben werden sollen. Goethe, Schiller, Wieland und Herder können als die Hauptvertreter der Weimarer Klassik angesehen werden. Aber nur Schiller und Goethe inspirierten und motivierten einander durch intensive Zusammenarbeit und gegenseitige Kritik.

Das vorliegende Gedicht umfasst 200 Wörter. Es baut sich aus 3 Strophen auf und besteht aus 42 Versen. Die Gedichte „An die Freundschaft“, „Apollo“ und „Bilder und Träume“ sind weitere Werke des Autors Johann Gottfried Herder. Zum Autor des Gedichtes „Die Vorsehung“ haben wir auf abi-pur.de weitere 413 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Johann Gottfried Herder

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Johann Gottfried Herder und seinem Gedicht „Die Vorsehung“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Johann Gottfried Herder (Infos zum Autor)

Zum Autor Johann Gottfried Herder sind auf abi-pur.de 413 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.