Der einzige Liebreiz von Johann Gottfried Herder

Die Schönheit nicht, o Mädchen, nicht
Die Schönheit uns beglückt!
Die Sonn', ein Engelsangesicht,
Macht blind, wer in sie blickt.
 
Dein Putz uns nicht, o Mädchen, nicht
Dein Putz uns selig macht;
Der Pfau gar bunte Farben bricht
In dummer, leerer Pracht.
 
Des Witzes Pfeil, ein spitzer Pfeil,
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Trifft selten tief das Herz;
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Er fliegt vorbei in schneller Eil'
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Und lässet öfters Schmerz.
 
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Nur eine Macht, der nichts entgeht,
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Und eine kenn' ich nur;
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O Mädchen, wenn sie bei Dir steht!
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Sie heißt: Natur! Natur!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.2 KB)

Details zum Gedicht „Der einzige Liebreiz“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
16
Anzahl Wörter
85
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht mit dem Titel „Der einzige Liebreiz“ stammt von Johann Gottfried Herder, einem deutschen Dichter, Übersetzer sowie Philosoph und entspricht somit der Epoche der Aufklärung, genauer gesagt der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Erster Eindruck des Gedichts wirkt auf den Leser ruhig und bedacht. Es lässt bereits erahnen, dass es inhaltlich um eine Art Vergleich oder Widerlegung gängiger Ideale geht.

Inhaltlich beleuchtet das Gedicht unterschiedliche Aspekte von Schönheitsidealen und stellt sie in Frage. In der ersten Strophe wird physische Schönheit thematisiert. Sie wird mit der strahlenden Sonne verglichen, die blind mache, wenn man direkt hineinblickt. In der nächsten Strophe wird dem Wert von Schmuck und Prunk eine Absage erteilt. Sie seien nichts als leere Pracht. Satirisch wird hier der Pfau als Sinnbild der Eitelkeit genommen. In der dritten Strophe wird der Witz als Charaktereigenschaft angesprochen, dessen Pfeile das Herz zwar treffen, aber eher Schmerz als Glück bringen. Die letzte Strophe enthüllt, dass die Natur der einzig wahre Wert ist, der es respektiert und bewundert zu werden verdient.

Das lyrische Ich richtet sich an ein „Mädchen“ und scheint so eine Form der Belehrung anzusprechen, es lehnt dabei den hier beschriebenen konventionellen Ansichten von Schönheit ab und stellt Natur über alles.

Hinsichtlich der Form besteht das Gedicht aus vier gleich gebauten Strophen, bestehend aus je vier Versen. Der Sprachgebrauch ist typisch für das 18. Jahrhundert, gemäß des Autors Zeit und Herkunft. Die Anrede „O Mädchen“ sowie die zuletzt wiederholte „Natur! Natur!“ wirken stark betonend und wirken dadurch eindrücklich.

Zusammengefasst lehnt das lyrische Ich in Herders Gedicht „Der einzige Liebreiz“ oberflächliche Art der Schönheit ab und verkündet die Einfachheit und Aufrichtigkeit der Natur als das wahrhaftige Ideal. Dies spiegelt auch die Gedanken der Aufklärung wider, die Mensch und Natur in den Mittelpunkt stellten und sich gegen Überheblichkeit sowie für Toleranz und Vernunft aussprachen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der einzige Liebreiz“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Gottfried Herder. Geboren wurde Herder im Jahr 1744 in Mohrungen (Ostpreußen). Das Gedicht ist in der Zeit von 1760 bis 1803 entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Der Schriftsteller Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Zwischen den Literaturepochen Empfindsamkeit und Klassik lässt sich in den Jahren zwischen 1765 und 1790 die Strömung Sturm und Drang einordnen. Geniezeit oder zeitgenössische Genieperiode sind häufige Bezeichnungen für diese Literaturepoche. Die Literaturepoche des Sturm und Drang war eine Protestbewegung, die aus der Aufklärung hervorging. Der Protest richtete sich gegen den Adel und dessen höfische Welt, sowie andere absolutistische Obrigkeiten. Er richtete sich darüber hinaus auch gegen das Bürgertum, das als eng und freudlos galt, und dessen Moralvorstellungen veraltet waren. Als Letztes richtete sich der Protest des Sturm und Drang gegen Traditionen in der Literatur. Die Autoren des Sturm und Drang waren zumeist Schriftsteller jüngeren Alters, häufig unter 30 Jahre alt. Um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Vorschein zu bringen, wurde insbesondere darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die traditionellen Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Mit seinen beiden bedeutenden Vertretern Goethe und Schiller entwickelte sich der Sturm und Drang weiter und ging in die Weimarer Klassik über.

Auf zeitlicher Ebene lässt sich die Weimarer Klassik mit Goethes Italienreise 1786 und mit Goethes Tod im Jahr 1832 eingrenzen. Zwei gegensätzliche Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert beeinflusst. Die Aufklärung und die gefühlsbetonte Strömung Sturm und Drang. Die Weimarer Klassik ist eine Verschmelzung dieser beiden Elemente. Die Weimarer Klassik wird häufig nur als Klassik bezeichnet. Beide Bezeichnungen werden in der Literatur genutzt. Die Vertreter der Klassik wollten die antiken Stoffe aufleben lassen. Mit der antiken Kunst beschäftigte sich Goethe während seiner Italienreise. Die Antike gilt nun als Ideal, um Harmonie und Vollkommenheit zu erreichen. Kennzeichnend ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Gefühl und Vernunft. Die Dichter haben in der Weimarer Klassik auf Gestaltungs- und Stilmittel aus der Antike zurückgegriffen. Die Hauptvertreter der Weimarer Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Goethe und Schiller.

Das Gedicht besteht aus 16 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 85 Worte. Der Dichter Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „Bilder und Träume“, „Das Flüchtigste“ und „Das Gesetz der Welten im Menschen“. Zum Autor des Gedichtes „Der einzige Liebreiz“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 413 Gedichte vor.

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