An Lavater von Johann Gottfried Herder

Der Dir dies Brieflein geben thut,
Freund Zimmermann, ist lang und gut,
Von Haupt zu Füßen elegant
Und Biedermann an Brust und Hand
Und Fuß und Kinn. Schau an sein Kinn,
Gefaßt, gemacht! die Seel' ihm drin,
Im schlichten Antlitz, hell und klar,
Steht immer da mir offenbar,
Ihn zu umarmen in statua,
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Zu ruhn in Liebreiz-gloria,
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Bis bald sich ein Wölkchen am Firmament
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Die 'nabzubringen, sei behend!
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Hauch an ihn, Lieber, mit Himmelsduft
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Und Seelenspeis' und Schweizerluft,
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Und labt Euch in Eur'm Schattenreich
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Von Menschenzügen! Wollt' mich gleich
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Wol auch hin wünschen, wie der Prophet
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Elias, in Eu'r Cabinet!
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Dieweil das ab'r diesmal nicht geht,
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Ist's besser, es stehe, wie es steht.
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Hätt' Dir auch gerne eine Offenbar
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ung Johannes' zugesandt, hell und klar,
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Hab' aber sie nicht bei mir
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Und kann also sie nicht schicken Dir.
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Lieb, Lieber, mich an Seel' und Leib,
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Wie Zimmermann'n mein liebes Weib!
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P.S. Viel' Grüß' an Meister Schmied Breitinger
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Und Viehmagdnachbarsmann Hottinger!
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An Gaßner verbrenn Dir nicht die Finger,
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Und noch einen Kuß an Pfeffinger!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25 KB)

Details zum Gedicht „An Lavater“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
174
Entstehungsjahr
1775
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht ist von Johann Gottfried Herder, einem Theologen und Dichter, der während der Aufklärung und der Anfänge der Weimarer Klassik tätig war. Das betrachtete Werk lässt sich sanft in das Zeitfenster zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert einordnen.

Auf den ersten Blick handelt es sich um ein persönlich answirkendes Gedicht, das in einer sehr emotionalen und liebevollen Sprache verfasst ist. Die adressierten Personen scheinen enge Vertraute und Freunde Herders zu sein.

Inhaltlich lässt sich das Gedicht in zwei Hauptrichtungen interpretieren:

1) Es ist ein Loblied auf den Adressaten, der als freundlich und gut dargestellt wird. Herder schätzt offensichtlich dessen besondere äußerliche Merkmale wie das klar erkennbare Antlitz und das elegante Auftreten. Der Adressat scheint ein Seelenverwandter Herders zu sein, mit dem er sich gerne umgeben würde.

2) Es ist aber auch eine Sehnsuchtskundgebung nach Nähe und Gesellschaft. Herder möchte gerne bei seinen Freunden sein, kann dies aber aus nicht explizit genannten Gründen nicht.

Mit der Sprache und Form spielt Herder auf interessante Weise. Die Verse sind in der Alltagssprache verfasst, was den Gedicht eine persönliche und intime Atmosphäre verleiht. Trotz der Einfachheit der Sprache, schafft es Herder durch die Verwendung von Bildern und Metaphern, ein ohrwurmfähiges Meisterwerk zu schaffen. Insbesondere sticht die reichhaltige Verwendung von Anredeformen hervor, die den Leser mit in das Geschehen ziehen.

Insgesamt wirkt das Gedicht wie ein lebhafter und liebevoller Brief an einen Freund, der von Sehnsucht und Zuneigung geprägt ist. Herder zeigt hier seine Fähigkeiten, Alltagssprache und lyrische Elemente geschickt miteinander zu verweben, um ein emotional ansprechendes Kunstwerk zu schaffen.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „An Lavater“ ist Johann Gottfried Herder. Der Autor Johann Gottfried Herder wurde 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Im Jahr 1775 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Der Schriftsteller Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Als Sturm und Drang (auch Genieperiode oder Geniezeit) bezeichnet man eine Literaturepoche, die auf die Jahre 1765 bis 1790 datiert werden kann. Sie knüpfte an die Empfindsamkeit an und ging später in die Klassik über. Die Epoche des Sturm und Drang war eine Protestbewegung, die aus der Aufklärung hervorging. Der Protest richtete sich gegen den Adel und dessen höfische Welt, sowie andere absolutistische Obrigkeiten. Er richtete sich aber auch gegen das Bürgertum, das als freudlos und eng galt, und dessen Moralvorstellungen veraltet waren. Als Letztes richtete sich der Protest der Epoche des Sturm und Drang gegen Traditionen in der Literatur. Die Vertreter der Epoche des Sturm und Drang waren häufig junge Autoren im Alter zwischen zwanzig und dreißig Jahren, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. Um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Vorschein zu bringen, wurde insbesondere darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Die Nachahmung und Idealisierung von Künstlern aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die traditionellen Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit dem Hinwenden Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.

Die Weimarer Klassik ist eine Epoche der deutschen Literaturgeschichte, die von zwei bedeutenden Dichtern geprägt wurde: Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Die Literaturepoche beginnt 1786 mit Goethes Italienreise und endet 1832 mit dem Tod Goethes. Es gibt aber auch zeitliche Eingrenzungen, die das gemeinsame Schaffen der beiden befreundeten Dichter Goethe und Schiller von 1794 bis zu Schillers Tod 1805 als Weimarer Klassik zeitlich festlegen. Wie der Name bereits verrät, liegen der Ausgangspunkt und das literarische Zentrum der Weimarer Klassik, die auch kurz Klassik genannt wird, in Weimar. Teilweise wird auch Jena als ein weiteres Zentrum dieser Literaturepoche angesehen. Die Dichter der Klassik wollten die antiken Stoffe aufleben lassen. Mit der antiken Kunst beschäftigte sich Goethe während seiner Italienreise. Die Antike gilt nun als Ideal, um Harmonie und Vollkommenheit erreichen zu können. Ein hohes Sprachniveau ist für die Werke der Klassik kennzeichnend. Während man im Sturm und Drang die natürliche Sprache wiedergeben wollte, stößt man in der Klassik auf eine reglementierte Sprache. Die wichtigen Schriftsteller der Klassik sind Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe. Andere Schriftsteller der Klassik sind Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Die beiden zuletzt genannten arbeiteten jeweils für sich. Einen konstruktiven Austausch im Sinne eines gemeinsamen Arbeitsverhältnisses gab es nur zwischen Schiller und Goethe.

Das Gedicht besteht aus 30 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 174 Worte. Der Dichter Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „Amor und Psyche“, „An Auroren“ und „An den Schlaf“. Zum Autor des Gedichtes „An Lavater“ haben wir auf abi-pur.de weitere 413 Gedichte veröffentlicht.

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