Magnalia Dei von Johann Gottfried Herder

Ich singe Gott! Jehovens Rath und That!
Euch Himmeln, Erde, Dir erzähl' ich Gottes Ehre.
Singt, Sphären! singt mir vor! Du hörtest, höchste Sphäre,
Doch nur von fern des Ew'gen Rath!
Und singst. - Und, Erde, steh! und ruh - und höre,
Was Gott für Dich beschloß und that!
Er singt - sie schweigt - noch brausen Höllenmeere,
Verstummt vor Gott. - Erzittre, Höll', und bebend höre,
Was wider Dich Jehovah sprach und that!
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Es wird still! - Ich singe! - Ich?
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Bin ich Engel, der von Gottes Rath
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Den tiefsten Widerhall nur rauschen hörte - Ich?
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Halb Nichts, halb Staubkorn - ja, ich singe - und ganz Erde?
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Mit Feuer aus der Höhe taufe mich!
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Dein Geschöpf, Dein Kind,
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Ja Erde ganz! - doch Dein Geschöpf, Dein Christ, Dein Kind,
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O Schöpfer, Vater, Mittler, mich! - Dann werde
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Ich hoch zu Dir entzückt und singe Dich!
 
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Gott war! Fleuch, mein Gesang, empor!
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Gott war! um ihn nur Endliches, Nichts!
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Allgegenwärtig Nichts! wer kann es malen!
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Wer blickt in diesen Tod des Lichts?
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Wer herrscht? Gott herrscht auch übers All des Nichts.
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Er spricht! - sein Schöpfershauch bebt durch die Wüsten
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Des Undings - ruft das Sein hervor!
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Des Chaos Nacht blinzt schon von seinen Strahlen
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Sie blinzt und sieht zum Licht!
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Noch schafft sein Licht! - doch einst! - Jehovah spricht
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Sie blinzt - es zittern ihre feinsten Strahlen
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Und sterben! Sie ist Nacht - Gott ruft das Sein ins Nichts!
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Und Gottes Allmachtshauch bebt durch die ew'gen Wüsten
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Des neugeschaffnen Nichts!
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Du schufst's - o Gott! - Du, Dir selbst ewig g'nug!
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Warum schufst Du? - Mensch, neige Dich zur Erde!
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Gott spricht: »Es sei der Mensch, er werde
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Ein Bild, uns gleich!«
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Für mich, ein denkend Nichts, schufst Du des Segens Reich?
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Der Schöpfung Plan, wer kann ihn übersehn? O nein!
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Ein Punkt des Ganzen! Aus dem Mittelpunkt
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Sieht auch der Punkt sich selbst; das All zu übersehn,
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Muß ich kein Theil des Alls - selbst Schöpfer sein!
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Es sah und sieht Dein Gottesblick, wie Myriaden
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Der Wesen, die nicht Zeit, nicht Maaß, nicht Kraft ausmißt,
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Vom halben Nichts zu Dem, der voll vom Anschaun ist,
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In Deinem Glanz sich, Lichtmeer, baden!
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Durch Dich zu fühlen und Dir Dank, durch Dich gefühlt,
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Von diesem empfindungshell Dir Dank aufblicken,
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Jauchzen, daß Gott sei: das siehst Du.
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Göttlich fühlest Du Dich als Quell
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Des Daseins aller Myriaden
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Und Alles jauchzt, wenn Du Dich fühlst.
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Der Seraph nennt Dich neu und fühlt Dich neu!
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Der Christ wird Engel, und der Mensch ein Christ,
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Der Engel Seraph, und weil Du, Gott, Vater bist,
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Auch ich fühl', daß ich göttlich sei!
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Ich göttlich? Gottes Bild?
 
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Noch dacht' ich nicht, schon fühlt' ich wider Gott;
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Kaum lallte ich, da glüht' mein Auge schon
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Von Rache wider ihn - der Geifer flog umher.
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Da ich des Schöpfers Luft kaum saugen lernte,
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Da nervenlos die Hand kaum greifen lernte,
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Da thürmten Riesengedanken schon
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Auf Sünde Sünde, Ossa auf den Pelion,
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Und stürmten zu der Gottheit Thron.
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Und Gott - blitzt? donnert er mich unter Berg' und Klüfte
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Zur Hölle, die er neunmal tiefer gräbt?
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Die Feindeshand, da sie Dir widerstrebt',
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Da hieltest Du sie, nahmst und legtest mich
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Als Kind sanft nieder, sprachst: »Nun siehe Dich!
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Du Wurm im Blut! und ewig lieb' ich Dich,
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Ja ewig, ewig!« Ueber allen Kreis der Zeit,
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Hoch durch den Geiststrom aller Sonnenmeere
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Schwing Dich, mein Geist, zur Ewigkeit!
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Zum Richterthron, zum Friedensrath!
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Hin über alle Zeit!
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Gott sah mit hohem Blick durch der Aeonen Heere
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Ein großer Weltriß - tief zu unserm Erdball,
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Wie er als Eden blüht, des Lebens Atmosphäre
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Lichtströmend ihn umfleußt, wie aller Segen Heere
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Sanft auf ihm ruhn, und Tugend blüht,
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Und jeder Sonnenstrahl von Wonne glüht,
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Und Götter auf ihm wohnen!
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Gott sah's und fühlt's und wollt's. Er ward, der Erdenball.
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Doch wie so schnell verblüht? da Todesatmosphäre
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Ihn pestig schwarz umfleußt, und Plagenheere
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Vielklauicht auf ihm ruhn, und Bosheit blüht,
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Und Satans auf ihm wohnen!
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Gott sah's, ward Richter - richtete und schwieg.
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Sein Blick sprach Zorn, und sieben Donner lallten
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Zurück. Da hoben alle Engelsthronen sich aus und sanken,
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Alles sah und schwieg!
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Da sprach der Sohn, des Richters Sohn: »Ich bin,
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Wie Du Gott, Mensch wie sie!
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Will Richter und Versöhner sein!« und schwieg.
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Des Herren Wink sprach Ja! da lallten
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Des Zornes Donner nach das Ja!
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Da fühlten sich die Thronen
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So endlich, als sie wurden, und sanken hin.

Details zum Gedicht „Magnalia Dei“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
98
Anzahl Wörter
740
Entstehungsjahr
1764
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Der Autor dieses umfangreichen Gedichts ist Johann Gottfried Herder, ein deutscher Dichter und Denker aus der Zeit der Aufklärung und des Sturm und Drang. Er lebte von 1744 bis 1803, was dieses Werk ungefähr in das späte 18. oder frühe 19. Jahrhundert datiert.

Das Gedicht „Magnalia Dei“ ist vom ersten Eindruck her stark in seiner religiösen Ausdruckskraft und Spiritualität. Es wirkt hymnenartig und ist ein Lobgesang auf Gott, den Schöpfer, und erzählt zugleich von der Dynamik zwischen göttlicher und menschlicher Existenz.

Das lyrische Ich beginnt mit dem Lobgesang auf Gott und seine Schöpfung und teilt mit den himmlischen und irdischen Wesen die Ehre Gottes. Es thematisiert die Macht und Allgegenwart Gottes im Vergleich zu der Endlichkeit und Begrenztheit des menschlichen Daseins. Gleichzeitig verweist das lyrische Ich auf seine eigene Menschlichkeit und seine Unzulänglichkeit, Gott in seiner ganzen Macht zu begreifen oder ihn angemessen zu besingen.

In Bezug auf die Form und Sprache lässt sich feststellen, dass das Gedicht aus drei Langstrophen besteht. Der Dichter nutzt reiche Metaphern und Symbolik, gepaart mit einer entsprechend hochgestimmten und feierlichen Sprache. Die Verwendung der Anrede „Du“ in Bezug auf Gott verleiht dem Text eine persönliche und direkte Note. Gleichzeitig zeugt die wiederholte Apostrophierung von Gottes Macht und Größe von der tiefen Ehrfurcht des lyrischen Ichs vor dem göttlichen Wesen.

Herder zeigt ein großes Maß an Reflexion und Selbstbewusstsein, wie er sich selbst und die Menschheit insgesamt in Beziehung zu Gott und zum Universum setzt. Er erkennt die eigene geringe Bedeutung angesichts der Majestät Gottes, sieht sich aber gleichzeitig als Teil der göttlichen Schöpfung und damit verbunden mit dem Göttlichen.

Insgesamt, ist das Gedicht stark theozentrisch und deutet auf Herders tiefreligiöse Überzeugungen und sein engagiertes Nachdenken über menschliche Spiritualität und das Wesen Gottes hin. Es ist ein beeindruckendes Beispiel für frühromantische religiöse Poesie und für Herders Fähigkeit, tiefe philosophische und theologische Überlegungen in poetischer Form auszudrücken.

Weitere Informationen

Johann Gottfried Herder ist der Autor des Gedichtes „Magnalia Dei“. Geboren wurde Herder im Jahr 1744 in Mohrungen (Ostpreußen). Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1764 zurück. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Bei Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Als Sturm und Drang (auch Genieperiode oder Geniezeit) bezeichnet man eine Literaturepoche, die auf die Jahre 1765 bis 1790 datiert werden kann. Sie knüpfte an die Empfindsamkeit an und ging später in die Klassik über. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das literarische und philosophische Denken im deutschen Sprachraum. Der Sturm und Drang „stürmte“ und „drängte“ als Protest- und Jugendbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale. Ein wesentliches Merkmal des Sturm und Drang ist somit ein Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung. Bei den Autoren handelte es sich meist um junge Schriftsteller. Meist waren die Vertreter unter 30 Jahre alt. Um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen, wurde besonders darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Die Nachahmung und Idealisierung von Autoren aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die alten Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.

Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar) ist einer der bedeutendsten Dichter der Weimarer Klassik. Im Jahr 1786 unternahm Goethe eine Italienreise, diese wird heute als Beginn der Weimarer Klassik angesehen. Das Ende der Epoche ist im Jahr 1832 auszumachen. Das Zentrum dieser Literaturepoche lag in Weimar. Es sind sowohl die Bezeichnungen Klassik als auch Weimarer Klassik gebräuchlich. Toleranz, Menschlichkeit und Übereinstimmung von Mensch und Natur, von Individuum und Gesellschaft sind die Ideale der Klassik. Im Zentrum des klassischen Kunstkonzepts steht das Streben nach harmonischem Ausgleich der Gegensätze. Typisch ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Vernunft und Gefühl. Die Autoren haben in der Weimarer Klassik auf Stil- und Gestaltungsmittel aus der Antike zurückgegriffen. Die Hauptvertreter der Weimarer Klassik sind Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Goethe und Schiller.

Das Gedicht besteht aus 98 Versen mit insgesamt 3 Strophen und umfasst dabei 740 Worte. Die Gedichte „An Auroren“, „An den Schlaf“ und „An die Freundschaft“ sind weitere Werke des Autors Johann Gottfried Herder. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Magnalia Dei“ weitere 413 Gedichte vor.

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