Eine Paraphrase des Vaterunser von Johann Gottfried Herder

Gott, der im hohen Himmel wohnet
Und uns, uns Asche, Kinder nennt,
Der über Kron' und Scepter thronet
Und doch für Staub vor Liebe brennt,
Ich nenne Dich den Herrn und sinke
Voll Ehrfurcht auf mein Angesicht
Und bete: »Vater, Vater, winke
Den Scepter mir zur Zuversicht!«
 
Dein Name, den das Heer der Himmel
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Mit Zittern dreimal heilig preist,
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Dem jauchze aller Welt Getümmel:
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»Verehrt sei Vater, Sohn und Geist!«
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Dein Reich der Himmel senke nieder,
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Und Segen ströme Deine Hand!
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So kommt uns güldne Ruhe wieder,
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Und unsre Welt wird Gottes Land.
 
17 
Dein Wink gebeut dort Seraphinen
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Vor Dir; er will, und es geschicht:
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So laß Dir, Gott, die Völker dienen!
20 
Du willst das Beste stets, wir nicht.
21 
Speis' uns mit Früchten Deiner Güte,
22 
Dein Gnadenthau sei unser Trank!
23 
Dem Menschen preis' ihn Eu'r Gemüthe,
24 
Und Himmel hören Euren Dank.
 
25 
Vergieb die Schuld uns schwachen Armen!
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Wir fehlten, sündigten nicht gern.
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Sieh, wir vergeben mit Erbarmen
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Die Schulden unsern Schuldigern.
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Da lau'rt der Feind; laß ihn nicht siegen!
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Gieb Kraft uns, wenn er uns versucht!
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Lehr unsre schwachen Arme kriegen,
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Und Lorbeer sei des Sieges Frucht!
 
33 
Einst reiß' aus allen Unglückswellen
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Uns Deine Rechte! Hoch hervor,
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Wo keine Laurer nach uns stellen,
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Dahin steigt unser Wunsch empor.
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Sprich Ja! und alle Himmel neigen
38 
Sich Deiner Ehre weit und breit.
39 
Dein, Herr, ist Reich und Kraft! Wir schweigen;
40 
Singt, Engel, Gottes Herrlichkeit!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.8 KB)

Details zum Gedicht „Eine Paraphrase des Vaterunser“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
232
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das vorgestellte Gedicht, „Eine Paraphrase des Vaterunser“, stammt von dem deutschen Dichter und Denker Johann Gottfried Herder, der von 1744 bis 1803 lebte. Dies ordnet ihn zeitlich der Epoche der Aufklärung und der Frühromantik zu.

Beim ersten Lesen vermittelt das Gedicht einen starken Eindruck von Herders tiefem religiösen Glauben. Es ist eine ausführliche und emotionale Auseinandersetzung mit dem christlichen Gebet „Vaterunser“, bei dem Herder die wesentlichen Themen und Bitten des Gebetes behandelt, aber in einer poetischen Umschreibung. Im Wesentlichen drückt das lyrische Ich seine tiefe Ehrfurcht und Liebe zu Gott aus, ersucht um Vergebung, wirbt um Gottes Schutz und Hilfe und hofft schließlich auf Erlösung.

Die Form des Gedichtes besteht aus fünf Strophen mit je acht Versen. Diese wiederum scheinen das Vaterunser zu reflektieren, welches auch aus fünf Abschnitten besteht. Herder verwendet eine recht formale, altertümliche Sprache, die gut zur religiösen Thematik passt und ein Gefühl von Ehrerbietung und Erhabenheit vermittelt. Die Sprache ist reich an Metaphern und bildhaften Ausdrücken, beispielsweise bezeichnet das lyrische Ich Menschen als „Asche“ und „Staub“, um ihre Kleinheit im Vergleich zu Gottes Größe darzustellen.

Die Analyse der Sprache zeigt auch, dass Herder eine emotionale und persönliche Verbindung zu den Inhalten des Vaterunser herstellt. Anstelle einer direkten und buchstabengetreuen Paraphrase wählt Herder eine emotionale und subjektive Darstellung. Im Gesamten ist Herders „Eine Paraphrase des Vaterunser“ somit eine tiefe und persönliche Ausdrucksform seines Glaubens, welches Ehrbietung, Hoffnung, Reue und Ergebenheit in Gottes Willen zum Ausdruck bringt.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Eine Paraphrase des Vaterunser“ des Autors Johann Gottfried Herder. Der Autor Johann Gottfried Herder wurde 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. In der Zeit von 1760 bis 1803 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Bei Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Die Epoche des Sturm und Drang reicht zeitlich etwa von 1765 bis 1790. Sie ist eine Strömung innerhalb der Aufklärung (1720–1790) und überschneidet sich teilweise mit der Epoche der Empfindsamkeit (1740–1790) und ihren Merkmalen. Häufig wird die Epoche des Sturm und Drang auch als Geniezeit oder Genieperiode bezeichnet. Die Klassik knüpft an die Literaturepoche des Sturm und Drang an. Der Sturm und Drang war eine Protestbewegung, die aus der Aufklärung hervorging. Der Protest richtete sich dabei gegen den Adel und dessen höfische Welt, sowie andere absolutistische Obrigkeiten. Er richtete sich aber auch gegen das Bürgertum, das als eng und freudlos galt, und dessen Moralvorstellungen veraltet waren. Als Letztes richtete sich der Protest der Epoche des Sturm und Drang gegen Traditionen in der Literatur. Die Autoren der Epoche des Sturm und Drangs waren häufig unter 30 Jahre alt. In den Gedichten wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Künstlern aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die alten Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.

Die Weimarer Klassik ist eine Epoche der deutschen Literaturgeschichte, die von zwei bedeutenden Dichtern geprägt wurde: Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Die Literaturepoche beginnt im Jahr 1786 mit Goethes Italienreise und endet im Jahr 1832 mit Goethes Tod. Es gibt aber auch Definitionen, die die gemeinsame Schaffenszeit der beiden befreundeten Dichter Goethe und Schiller von 1794 bis zu Schillers Tod 1805 als Weimarer Klassik festlegen. Sowohl die Bezeichnung Klassik als auch die Bezeichnung Weimarer Klassik sind gebräuchlich. Das literarische Zentrum dieser Epoche lag in Weimar. Der Begriff Humanität ist von zentraler Bedeutung für die Zeit der Weimarer Klassik. Die wichtigsten inhaltlichen Merkmale der Klassik sind: Harmonie, Selbstbestimmung, Menschlichkeit, Toleranz und die Schönheit. Ein hohes Sprachniveau ist für die Werke der Weimarer Klassik charakteristisch. Während man im Sturm und Drang die natürliche Sprache wiedergeben wollte, stößt man in der Weimarer Klassik auf eine reglementierte Sprache. Die bedeutenden Vertreter der Klassik sind: Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried von Herder.

Das vorliegende Gedicht umfasst 232 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 40 Versen. Die Gedichte „An die Freundschaft“, „Apollo“ und „Bilder und Träume“ sind weitere Werke des Autors Johann Gottfried Herder. Zum Autor des Gedichtes „Eine Paraphrase des Vaterunser“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 413 Gedichte vor.

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