Fluch an die Gelegenheit von Johann Gottfried Herder

Gelegenheit!
Du Mutter jeder Albernheit!
Wie viele Weisen wurden Thoren,
Wie viele Plane schnell geboren
Und schneller noch durch Dich zerstreut!
Die Tugend, die wir ausgeübet,
Der Fehler, den wir oft geliebet,
Ist unser? Nein, ist Dein, o Zeit,
Gelegenheit!
 
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Gelegenheit!
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Dir dank' ich meine Trunkenheit!
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Den Wein, wie hatt' ich ihn verschworen!
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Wie leicht hab' ich den Schwur verloren,
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Und ohn' daß ein Tyrann gedräut!
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Ich sah den Wein im Glase blinken,
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Und immer wuchs der Durst im Trinken;
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Ich trank, ward trunken und erfreut;
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Gelegenheit!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.3 KB)

Details zum Gedicht „Fluch an die Gelegenheit“

Anzahl Strophen
2
Anzahl Verse
18
Anzahl Wörter
87
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das zu interpretierende Gedicht ist „Fluch an die Gelegenheit“ von Johann Gottfried Herder, einem bedeutenden Dichter der deutschen Aufklärung. Er lebte von 1744 bis 1803, was das Gedicht zeitlich in das 18. Jahrhundert einordnet.

Auf den ersten Eindruck erscheint es wie eine Kritik oder vielleicht sogar Verfluchung der Gelegenheit oder Zeit, die Veränderung und Unberechenbarkeit ins Leben der Menschen bringt. Die Gelegenheit wird als „Mutter jeder Albernheit“ bezeichnet und scheint für viele negative Erfahrungen verantwortlich zu sein.

Im Inhaltlichen scheint das lyrische Ich den Einfluss der Gelegenheit auf sein Leben zu thematisieren. Es beschreibt, wie Gelegenheiten sowohl Pläne zerstört haben als auch dazu geführt haben, dass kluge Menschen sich in Narren verwandeln. Im zweiten Teil dankt das lyrische Ich der Gelegenheit paradoxerweise für seine Trunkenheit, jedoch auf eine Weise, die nahelegt, dass dies nicht positiv gemeint ist. Es wirft der Gelegenheit vor, seine Selbstkontrolle untergraben zu haben und dafür verantwortlich zu sein, dass es seinen Schwur, keinen Wein mehr zu trinken, brechen musste. Hierbei werden auch die Aspekte Tugend und Fehler angesprochen, die in Beziehung zu den Taten des lyrischen Ichs gesetzt werden, letztlich jedoch der Gelegenheit zugerechnet werden.

Die Form des Gedichts ist einfach gehalten. Es besteht aus zwei Strophen mit je neun Versen. Die immer wiederkehrende Anrede „Gelegenheit!“ erzeugt eine Art rhythmische Struktur und Unterstreicht die Wichtigkeit der Gelegenheit im Leben des lyrischen Ichs. Die Sprache des Gedichts ist einfach und direkt, geprägt von kurzen, klaren Aussagen und Fragen.

Die Kontrastierung von Weisheit und Narrheit, Plan und Zerstreuung, Tugend und Fehler, Enthaltsamkeit und Trunkenheit verdeutlicht die Dualität, die die Gelegenheit im Leben des lyrischen Ichs darstellt. Es betrachtet die Gelegenheit sowohl als Quelle seiner Probleme als auch als unvermeidlichen Teil seiner Existenz. Auf einer tieferen Ebene kritisiert das Gedicht möglicherweise die Unvorhersehbarkeit und Unkontrollierbarkeit des Lebens, die durch äußere Gelegenheiten und Umstände bedingt ist.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Fluch an die Gelegenheit“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Gottfried Herder. Geboren wurde Herder im Jahr 1744 in Mohrungen (Ostpreußen). Das Gedicht ist in der Zeit von 1760 bis 1803 entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Der Schriftsteller Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Sturm und Drang ist die Bezeichnung für die Literaturepoche in den Jahren von etwa 1765 bis 1790 und wird häufig auch Geniezeit oder zeitgenössische Genieperiode genannt. Diese Bezeichnung entstand durch die Verherrlichung des Genies als Urbild des höheren Menschen und Künstlers. Der Sturm und Drang knüpft an die Empfindsamkeit an und geht später in die Klassik über. Die Epoche des Sturm und Drang war eine Protestbewegung, die aus der Aufklärung hervorging. Der Protest richtete sich dabei gegen den Adel und dessen höfische Welt, sowie andere absolutistische Obrigkeiten. Er richtete sich aber auch gegen das Bürgertum, das als eng und freudlos galt, und dessen Moralvorstellungen veraltet waren. Als Letztes richtete sich der Protest der Epoche des Sturm und Drang gegen Traditionen in der Literatur. Bei den Vertretern der Epoche des Sturm und Drang handelte es sich vorwiegend um junge Autoren. Die Autoren versuchten in den Gedichten eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Künstlern aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die alten Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Schiller, Goethe und natürlich die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.

Die Literaturepoche der Weimarer Klassik dauerte von 1786 bis 1832 an. Zentrale Vertreter dieser Literaturepoche waren Goethe und Schiller. Die zeitliche Abgrenzung orientiert sich dabei an dem Schaffen Goethes. So wird dessen erste Italienreise im Jahr 1786 als Beginn der deutschen Klassik angesehen, die dann mit seinem Tod im Jahr 1832 ihr Ende nahm. Ausgangspunkt und literarisches Zentrum der Weimarer Klassik (kurz auch häufig einfach nur Klassik genannt) war Weimar. Die Klassik orientiert sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. Sie strebt nach Harmonie ganz im Gegensatz zur Epoche der Aufklärung und des Sturm und Drangs. In der Weimarer Klassik wird eine sehr einheitliche, geordnete Sprache verwendet. Allgemeingültige, kurze Aussagen sind oftmals in Werken der Weimarer Klassik zu finden. Da man die Menschen früher mit der Kunst und somit auch mit der Literatur erziehen wollte, setzte man großen Wert auf formale Ordnung und Stabilität. Metrische Ausnahmen befinden sich oftmals an Stellen, die hervorgehoben werden sollen. Die bedeutenden Vertreter der Klassik sind: Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried von Herder.

Das vorliegende Gedicht umfasst 87 Wörter. Es baut sich aus 2 Strophen auf und besteht aus 18 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Gottfried Herder sind „Das Glück“, „Das Kind der Sorge“ und „Das Orakel“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Fluch an die Gelegenheit“ weitere 413 Gedichte vor.

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