Der Zoologe von Berlin von Frank Wedekind

Hört ihr Kinder, wie es jüngst ergangen
Einem Zoologen in Berlin!
Plötzlich führt ein Schutzmann ihn gefangen
Vor den Untersuchungsrichter hin.
Dieser tritt ihm kräftig auf die Zehen,
Nimmt ihn hochnotpeinlich ins Gebet
Und empfiehlt ihm, schlankweg zu gestehen,
Daß beleidigt er die Majestät.
 
Dieser sprach: Herr Richter, ungeheuer
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Ist die Schuld, die man mir unterlegt;
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Denn daß eine Kuh ein Wiederkäuer,
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Hat noch nirgends Ärgernis erregt.
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Soweit ist die Wissenschaft gediehen,
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Daß es längst in Kinderbüchern steht.
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Wenn Sie das auf Majestät beziehen,
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Dann beleidigen Sie die Majestät!
 
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Vor der Majestät, das kann ich schwören,
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Hegt’ ich stets den schuldigsten Respekt;
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Ja, es freut mich oft sogar zu hören,
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Wenn man den Beleidiger entdeckt;
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Denn dann wird die Majestät erst sehen,
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Ob sie majestätisch nach Gebühr.
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Deshalb ist ein Mops, das bleibt bestehen,
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Zweifelsohne doch ein Säugetier.
 
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Ebenso hab’ vor den Staatsgewalten
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Ich mich vorschriftsmäßig stets geduckt,
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Auf Kommando oft das Maul gehalten
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Und vor Anarchisten ausgespuckt.
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Auch wo Spitzel horchen in Vereinen,
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Sprach ich immer harmlos wie ein Kind.
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Aber deshalb kann ich von den Schweinen
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Doch nicht sagen, daß es Menschen sind.
 
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Viel Respekt hab’ ich vor dir, o Richter,
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Unbegrenzten menschlichen Respekt;
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Läßt du doch die ärgsten Bösewichter
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In Berlin gewöhnlich unentdeckt.
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Doch wenn hochzurufen ich mich sehne
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Von dem Schwarzwald bis nach Kiautschau,
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Bleibt deshalb gestreift nicht die Hyäne?
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Nicht ein schönes Federvieh der Pfau?
 
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Also war das Wort des Zoologen,
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Doch dann sprach der hohe Staatsanwalt;
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Und nachdem man alles wohl erwogen,
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Ward der Mann zu einem Jahr verknallt.
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Deshalb vor Zoologie-Studieren
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Hüte sich ein Jeder, wenn er jung;
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Denn es schlummert in den meisten Tieren
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Eine Majestätsbeleidigung.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.3 KB)

Details zum Gedicht „Der Zoologe von Berlin“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
274
Entstehungsjahr
1905
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Zoologe von Berlin“ wurde von dem deutschen Dramatiker und Lyriker Frank Wedekind (* 24. Juli 1864, † 9. März 1918) verfasst. Wedekind zählt zu den wichtigen Vertretern des literarischen Naturalismus, Revolutionär der Dramatik um die vorletzte Jahrhundertwende und dem beginnenden Expressionismus. Das Gedicht wurde 1898 in die „Vier ernste Gesänge für Bariton und Klavier“ von Johannes Brahms eingearbeitet.

Beim ersten Lesen des Gedichts fällt auf, dass es narrative Elemente besitzt und eine Geschichte erzählt, die auf humorvolle Weise politische und gesellschaftliche Missstände offenlegt. Es spielt in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts, wo ein Zoologe verhaftet wird, weil er fälschlicherweise der Majestätsbeleidigung beschuldigt wird.

Die einzelnen Verse schildern die Erlebnisse des Zoologen, dabei erzählt das lyrische Ich aus seiner Sicht und legt seinen Standpunkt dar. Ihm wird vorgeworfen, er hätte die Majestät beleidigt, indem er eine Kuh als Wiederkäuer bezeichnet hätte. Das verdeutlicht die Absurdität und Willkür der Herrschaft und ist eine Anspielung auf die für Wedekind typische Kritik an der Autorität und Zensur im Kaiserreich.

Der Inhalt wird klar und verständlich präsentiert, das Hauptthema ist die Auseinandersetzung mit der Obrigkeit und Infragestellung von Autorität. Während des gesamten Gedichts verwendet der Autor Ironie und Satire als machtvolle rhetorische Mittel, um die Autoritäten zu kritisieren und seine politische und soziale Kritik auszudrücken.

Das Gedicht besteht aus sechs Strophen mit jeweils acht Versen. Es folgt nicht einer strengen metrischen Struktur, was es freier und zwangloser wirken lässt. Jeder Vers endet mit einem Reim, was dem Gedicht einen rhythmischen Charakter gibt und es angenehm zu lesen macht. Die Sprache des Gedichts ist klar und direkt, ab und zu werden Humor und Ironie genutzt, um den Text lebendig und ansprechend zu gestalten und seine Botschaft effektiv zu vermitteln.

Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass „Der Zoologe von Berlin“ ein scharfsinniges und humorvolles Gedicht ist, das effektiv gesellschaftliche Missstände aufdeckt und zur Auseinandersetzung mit Autoritätsstruktur auffordert. Es ist ein gelungenes Beispiel für die künstlerische Auseinandersetzung mit politischen und gesellschaftlichen Themen, das immer noch relevant und inspirierend ist.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der Zoologe von Berlin“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Frank Wedekind. 1864 wurde Wedekind in Hannover geboren. 1905 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist München. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Wedekind ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 274 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Frank Wedekind sind „Albumblatt“, „Allbesiegerin Liebe“ und „Alte Liebe“. Zum Autor des Gedichtes „Der Zoologe von Berlin“ haben wir auf abi-pur.de weitere 114 Gedichte veröffentlicht.

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