Die Schöpfung von Johann Gottfried Herder
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Einst war im weiten Schöpfungsraum |
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Noch Alles öd und wüst und leer, |
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Die Erd' ohn' Hügel, Thier und Baum, |
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Ein großes, schwarzes, wildes Meer, |
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Und Gottes Hauch schwebt' drüber her. |
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Da sprach der Schöpfer aller Welt: |
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»Sei Licht!« Da stand das Meer erhellt, |
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Das Licht war gülden, klar und schön; |
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Gott sah's und freut' sich, 's anzusehn, |
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Und nannt's und gab es seiner Welt. |
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Das war der erste Tag. |
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Drauf nahm Gott silberhelles Meer |
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Und hub's so weit und breit hinan. |
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Da floß es oben blau daher |
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Hoch überm alten Ocean, |
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Und zwischen ward hellweite Bahn, |
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Die nannt' der Schöpfer aller Welt |
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Den Himmel! Und dies hohe Zelt |
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Stand blau und hell und klar und schön; |
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Gott sah's und freut' sich, 's anzusehn, |
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Und nannt's und gab es seiner Welt. |
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Das war der andre Tag. |
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Drauf nahm Gott unten Erdenmeer |
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Und senkt' es in die Tief' hinab. |
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Das Land stieg hoch darüber her, |
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Und unten fand das Meer sein Grab, |
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Wo Gott ihm Thor und Riegel gab. |
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Da nannt' der Schöpfer aller Welt |
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Es Land! Sogleich war grünes Feld |
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Voll Kraut und Gras und Baum und Laub |
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Und drüber wehnder Samenstaub; |
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Gott sah voll Lust ins blühnde Feld. |
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Das war der dritte Tag. |
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Drauf schuf Gott hoch am Himmelszelt |
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Zwei große Lichter, glänzend klar, |
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Zu leuchten über alle Welt, |
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Zu herrschen über Zeit und Jahr, |
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Und um sie große Sternenschaar. |
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Da nannt' der Schöpfer mächtiglich |
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Die Sonn' und Mond. Und königlich |
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Kam sie, die Sonn', in Tagespracht, |
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Der Mond als Königin der Nacht; |
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Gott sah sie an und freute sich. |
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Das war der vierte Tag. |
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Drauf sah Gott auf die Tiefen her. |
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Da regt' sich schwimmend große Schaar, |
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Der Fisch und Walfisch in dem Meer, |
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Der Vogel in den Lüften klar, |
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Nach Ort und Art, wie Jedes war. |
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Da sprach der Schöpfer väterlich, |
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Sie segnend. Da freut' Alles sich; |
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Der Fisch und Walfisch hüpft' im Meer, |
53 |
Der Vogel schwirrt' in Lüften her; |
54 |
Gott sah sie all' und freute sich. |
55 |
Das war der fünfte Tag. |
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Drauf sah Gott hin ins grüne Feld; |
57 |
Da regt' sich stäubend große Schaar |
58 |
Von Wurm und Thier, und was die Welt |
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Zum Kriechen oder Gehn gebar, |
60 |
Nach Ort und Art, wie Jedes war. |
61 |
Da sann der Schöpfer feierlich |
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Und sprach: »Sei Mensch!« Da regte sich |
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Ein Götterbild, ging hoch einher |
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Und herrscht' auf Erd' und Luft und Meer; |
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Gott sah's und segnet's väterlich. |
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Das war der sechste Tag. |
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Nachdem nun Alles war vollbracht, |
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Erd', Himmel und ihr großes Heer, |
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Und Alles gut und froh bedacht |
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In Luft und Kluft und Land und Meer, |
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Und Gottes Bild herrscht drüber her; |
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Da sprach der Schöpfer aller Welt: |
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»Sei Sabbath!« Und sein Himmelszelt |
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Ward Ruh; die weite Schöpfung lag |
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Und schwieg. Da heiligt' er den Tag |
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Und nennt' und segnet' ihn der Welt. |
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Das war der siebente Tag. |
Details zum Gedicht „Die Schöpfung“
Johann Gottfried Herder
7
77
469
1769
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Die Schöpfung“ stammt von Johann Gottfried Herder, einem deutschen Dichter, Philosophen und Theologen, der im späten 18. Jahrhundert lebte, also zur Zeit der Aufklärung und der beginnenden Romantik.
Der erste Eindruck, den das Gedicht vermittelt, ist eine narrative Erzählung, die in formvollendeter Poesie die Schöpfungsgeschichte der Bibel, wie sie in der Genesis dargestellt wird, nachklangt. Es besteht aus sieben Strophen, die jeweils die Ereignisse eines der sieben Schöpfungstage darstellen.
Im Gedicht beschreibt das lyrische Ich zunächst einen Zustand völliger Ruhe und Leere (Strophe 1), aus dem Gott durch sein Wort („Sei Licht!“) das Universum erschafft und ihm Licht, Form und Bedeutung verleiht. In den folgenden Tagen erschafft Gott nach und nach die Welt, wie wir sie kennen: das Meer, den Himmel, das Land, die Sterne, die Tier- und Pflanzenwelt. Am sechsten Tag schafft Gott den Menschen als Krone der Schöpfung, und am siebten Tag ruht er und segnet seine Schöpfung. Jede Schöpfungshandlung wird von Gott betrachtet und für gut befunden, und somit drückt das Gedicht eine starke Wertschätzung für die Schönheit und Vielfalt der Welt aus.
Form und Sprache des Gedichts sind teils archaisch und teils stark rhythmisch, was dem Gedicht einen feierlichen, hymnischen Klang verleiht. Jede der sieben Strophen hat elf Verse, und jeder Tag endet mit einem Refrain („Das war der erste/.../siebente Tag“), der dem Gedicht Struktur, Wiedererkennbarkeit und einen impliziten Rhythmus verleiht. Der Sprachstil ist einfühlsam und bildhaft, mit vielen Adjektiven und sinnlichen Ausdrücken, die das Erlebnis der Schöpfung lebendig und anschaulich machen und den Leser zum Staunen und zur Bewunderung einladen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Die Schöpfung“ von Johann Gottfried Herder eine feierliche Dichtung ist, die in form- und klangschöner Sprache die biblische Schöpfungsgeschichte nachzeichnet und sie mit Wertschätzung, Achtung und Staunen beleuchtet. Damit ist es auch ein tiefsinniges Werk über den Wert der Natur und der Menschheit und über den Gott und Schöpfer, der sie alle ins Leben gerufen hat.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Die Schöpfung“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Gottfried Herder. Der Autor Johann Gottfried Herder wurde 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1769. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zu. Bei dem Schriftsteller Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.
Zwischen den Literaturepochen Empfindsamkeit und Klassik lässt sich in den Jahren zwischen 1765 und 1790 die Strömung Sturm und Drang einordnen. Geniezeit oder zeitgenössische Genieperiode sind häufige Bezeichnungen für diese Literaturepoche. Der Literaturepoche des Sturm und Drang geht die Epoche der Aufklärung voran. Die Ideale und Ziele der Aufklärung wurden verworfen und es begann ein Auflehnen gegen die Prinzipien der Aufklärung und das gesellschaftliche System. Bei den Vertretern der Epoche des Sturm und Drang handelte es sich vorwiegend um Schriftsteller jüngeren Alters. Die Autoren versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Künstlern aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die alten Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit dem Hinwenden Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.
Die Weimarer Klassik ist eine Epoche der deutschen Literaturgeschichte, die von zwei bedeutenden Dichtern geprägt wurde: Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Die Literaturepoche beginnt im Jahr 1786 mit Goethes Italienreise und endet im Jahr 1832 mit Goethes Tod. Es gibt aber auch zeitliche Eingrenzungen, die das gemeinsame Schaffen der beiden befreundeten Dichter Goethe und Schiller von 1794 bis zu Schillers Tod 1805 als Weimarer Klassik zeitlich festlegen. Sowohl die Bezeichnung Klassik als auch die Bezeichnung Weimarer Klassik sind gebräuchlich. Das literarische Zentrum dieser Epoche lag in Weimar. Die Autoren der Weimarer Klassik wollten die antiken Stoffe aufleben lassen. Mit der antiken Kunst beschäftigte sich Goethe während seiner Italienreise. Die Antike gilt nun als Ideal, um Harmonie und Vollkommenheit erreichen zu können. Typisch ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal der Literaturepoche des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Gefühl und Vernunft. Die Dichter haben in der Klassik auf Gestaltungs- und Stilmittel aus der Antike zurückgegriffen. Die wichtigen Autoren der Klassik sind: Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried von Herder.
Das Gedicht besteht aus 77 Versen mit insgesamt 7 Strophen und umfasst dabei 469 Worte. Die Gedichte „Bilder und Träume“, „Das Flüchtigste“ und „Das Gesetz der Welten im Menschen“ sind weitere Werke des Autors Johann Gottfried Herder. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Schöpfung“ weitere 413 Gedichte vor.
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