Lobgesang von Johann Gottfried Herder

Sing, o meine Seele, Deines
Unsichtbaren Königs Reich!
Von der Erd' hinauf gen Himmel,
Werd' ihm im Triumphe gleich!
Wie die Unschuld, wie die Wahrheit,
Still und ewig ist sein Reich.
 
»Ehre sei Gott in den Höhen!
Fried' auf Erden! Aller Welt
Heil!« so singen Gottes Engel
10 
Unter ihres Königs Zelt.
11 
Nächtlich stille, hell im Dunkel,
12 
Also kommt, so herrscht der Held.
 
13 
Neiget Euch ihm, Erdenkronen,
14 
Sinket nieder in den Staub!
15 
Sklavenjoch ist Eure Fessel,
16 
Euer Lorbeer blutig Laub;
17 
Eure Babel wird zu Trümmer,
18 
Euer Purpur Wurmesraub!
 
19 
Aber ewig, wie die Sonne,
20 
Ist der Wahrheit gülden Licht.
21 
Auch das Schicksal überwindet
22 
Seine Ruh und wanket nicht;
23 
Seine Demuth, seine Liebe
24 
Ist's, die Noth und Tod zerbricht.
 
25 
Oeffnet Euch, Ihr ew'gen Pforten!
26 
Denn ein Sieger zeucht heran.
27 
»Wer ist er, der stille Sieger?
28 
Blut bezeichnet seine Bahn!«
29 
Es ist Christ, der Wahrheit König,
30 
Der ein Geistesreich gewann.
 
31 
Alle Weisen, alle Guten
32 
Ziehn ihm im Triumphe nach,
33 
Sie, wie er, im Blutespurpur,
34 
Sie, wie er, voll schöner Schmach.
35 
Freiheit ist's, was sie errangen,
36 
Kette, was ihr Arm zerbrach.
 
37 
König, laß von Deiner Salbung
38 
Einen Odem mich durchwehn
39 
Und die Stille Deines Reiches
40 
Mir durch Herz und Seele gehn!
41 
Laß mich sterbend, laß mich lebend
42 
Mit Dein Reich von ferne sehn!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.7 KB)

Details zum Gedicht „Lobgesang“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
42
Anzahl Wörter
208
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Lobgesang“ stammt von Johann Gottfried Herder, einem deutschen Dichter und Theologen der Aufklärung, der von 1744 bis 1803 lebte.

Der erste Eindruck des Gedichts ist erhebend und spirituell. Es scheint den Leser dazu aufzurufen, Gott zu loben und das göttliche Reich anzuerkennen, das durch das Versprechen der Ewigkeit, Wahrheit und Liebe charakterisiert wird.

Im Inhalt verweist das lyrische Ich zunächst auf das „Reich des unsichtbaren Königs“ und fordert seine Seele auf, ihm zu singen (Vers 1 und 2). Mit den weiteren Versen wird das Reich dieses Königs als „stille und ewige“ Wahrheit und Unschuld dargestellt (Vers 5 und 6). In der zweiten Strophe loben Engel Gott und verkünden die Ankunft des Helden. Im Rest des Gedichts wird auf das göttliche Reich und das stille, demütige Wesen des Siegers (Christus) hingewiesen.

Das Gedicht verwendet ein lyrisches Ich, dass seine eigenen Gedanken, Gefühle und Eindrücke ausdrückt und steht damit in der Tradition der Lyrik des 18. Jahrhunderts. Die Sprache ist bildhaft und symbolreich, es gibt viele Metaphern und symbolische Wortkonstruktionen. Die Form des Gedichts besteht aus sieben Strophen mit je sechs Versen. Die Verse sind in Reimpaaren organisiert, was dem Gedicht einen melodiösen und rhythmischen Fluss verleiht.

Aus der Analyse kann geschlossen werden, dass das lyrische Ich die innere Suche und Sehnsucht nach spiritueller Erleuchtung darstellt. Darüber hinaus betont das Gedicht die Wichtigkeit von Freiheit und die Überwindung von Nöten und Tod durch Gottes Liebe. Das Gedicht beschreibt eine Art spirituellen Pfad, der zum göttlichen Reich führt, und es ruft den Leser dazu auf, diesen Pfad zu beschreiten.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Lobgesang“ des Autors Johann Gottfried Herder. Geboren wurde Herder im Jahr 1744 in Mohrungen (Ostpreußen). Im Zeitraum zwischen 1760 und 1803 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zu. Bei dem Schriftsteller Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang (häufig auch Geniezeit oder Genieperiode genannt) ist eine literarische Epoche, welche zwischen 1765 und 1790 existierte und an die Empfindsamkeit anknüpfte. Später ging sie in die Klassik über. Die wesentlichen Merkmale des Sturm und Drang lassen sich als ein Rebellieren oder Auflehnen gegen die Epoche der Aufklärung zusammenfassen. Das literarische und philosophische Leben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die Literatur sollten dadurch maßgeblich beeinflusst werden. Bei den Vertretern der Epoche des Sturm und Drang handelte es sich vorwiegend um junge Autoren. Um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen, wurde im Besonderen darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Die Nachahmung und Idealisierung von Künstlern aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die traditionellen Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Schiller, Goethe und natürlich die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.

Die Literaturepoche der Weimarer Klassik dauerte von 1786 bis 1832 an. Bedeutende Vertreter dieser Literaturepoche waren Goethe und Schiller. Die zeitliche Abgrenzung orientiert sich dabei an dem Schaffen Goethes. So wird dessen erste Italienreise 1786 als Beginn der deutschen Klassik angesehen, die dann mit seinem Tod 1832 ihr Ende nahm. Wie der Name bereits verrät, liegen der Ausgangspunkt und das literarische Zentrum der Weimarer Klassik, die auch kurz Klassik genannt wird, in Weimar. Zum Teil wird auch Jena als ein weiteres Zentrum dieser Literaturepoche angesehen. Die Klassik orientiert sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. Sie strebt nach Harmonie ganz im Gegensatz zur Epoche der Aufklärung und des Sturm und Drangs. In der Gestaltung wurde das Gültige, Gesetzmäßige, Wesentliche sowie die Harmonie und der Ausgleich gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache oftmals derb und roh ist, bleibt die Sprache in der Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Die Hauptvertreter der Weimarer Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Schiller und Goethe.

Das Gedicht besteht aus 42 Versen mit insgesamt 7 Strophen und umfasst dabei 208 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Gottfried Herder sind „Das Glück“, „Das Kind der Sorge“ und „Das Orakel“. Zum Autor des Gedichtes „Lobgesang“ haben wir auf abi-pur.de weitere 413 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Johann Gottfried Herder

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Johann Gottfried Herder und seinem Gedicht „Lobgesang“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Johann Gottfried Herder (Infos zum Autor)

Zum Autor Johann Gottfried Herder sind auf abi-pur.de 413 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.