Das Abendmahl von Johann Gottfried Herder

Er sprach's und wollte scheiden:
»Wie, Brüder, lieb' ich Euch!
Noch einen Kelch der Freuden!
Bis uns in Gottes Reich
Nach Müh und Blut und Streite
Empfängt ein Labemahl,
Genießt an Freundes Seite
Das letzte Freundesmahl!«
 
Er sprach's, und Herz und Liebe
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Umgaben All' ihn da!
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Verklärt in Gottes Liebe
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Sie Jesus Christus sah:
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»Wie ich geliebt Euch habe,
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Liebt ewig, ewig Euch!
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Wie ich Euch jetzo labe,
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Labt einst uns Gottes Reich.«
 
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Er sprach von Blutvergießen,
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Von Lieben bis ins Grab:
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»Mein Blut muß söhnend fließen,
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Mein Leben blühen ab!
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Seht, Euch zu Trost und Muthe,
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Seht hier Euch ewig Mahl,
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Den Bund mit meinem Blute,
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Die Feier meiner Qual!
 
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Mein Leib! mein Blut! genießet
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Hier ewig meine Kraft!
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Des Freundes Blut, es fließet
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Zu Eures Lebens Saft.
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Bald wird sich Alles wenden;
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Getrost! ich bin bei Euch,
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Hin zu der Welten Enden
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Bis hin in Gottes Reich!«
 
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Er sprach's und ging zum Leiden
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Vom letzten Liebesmahl;
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Und ewig nach dem Scheiden
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Ward es sein Abendmahl,
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Ein Mahl der Lieb' und Thränen,
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Der Freundschaft in den Tod,
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Voll Wehmuth, Wonn' und Sehnen
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Und Labsal hin zu Gott.
 
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Auf Paradieses Auen
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Umarmt er fern sie schon!
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Vom Kelche konnten schauen
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Sie auf zu Gottes Thron,
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Wo einst, nach Müh und Streite
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Und Blut und Kampf und Qual,
47 
An ihres Freundes Seite
48 
Empfängt sie Freudemahl.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „Das Abendmahl“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
224
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Das Abendmahl“ wurde von Johann Gottfried Herder verfasst, einem Dichter, Philosophen und Theologen, der im 18. Jahrhundert in der Zeit der Aufklärung und zugleich der Weimarer Klassik lebte.

Beim ersten Eindruck wirkt das Gedicht sehr religiös und ernst. Es erzählt die Geschichte des Abendmahls, aus der Sicht Jesus Christus, in eindringlicher, bewegender Weise.

Die zentrale Botschaft scheint dabei die Liebe und Opferbereitschaft Jesu für seine Freunde bzw. Jünger zu sein, die auch ein Symbol für die Menschheit allgemein stehen können. Er bereitet sich darauf vor, sein Leben für sie zu opfern und sein Blut fließen zu lassen, was er als notwendige Sühne betrachtet. Er möchte ihnen Trost, Mut und Kraft liefern. Dieses Bild wird durch die wiederkehrenden Hinweise auf das Blut, das Leben, die Kraft und das Opfer eindrücklich gezeichnet. Dennoch endet das Gedicht in einem positiven Ausblick. Es wird eine Vision des Paradieses und ein ewig währendes Freudemahl an ihrer Seite beschrieben.

Sprachlich ist das Gedicht in klarer, einfacher Sprache verfasst. Es besteht aus sechs Strophen mit jeweils acht Versen. Innerhalb der einzelnen Strophen finden sich Endreime. Die Sprache ist voller starker, eindringlicher Bilder und Metaphern, die Herz und Emotionen ansprechen. Der zweisilbige Anfang jeder zweiten Strophe („Er sprach's“) erzeugt eine Art Wiederholungs- und Eindringlichkeits-Effekt, der die bedeutungsschwere Botschaft des Gedichts hervorhebt.

Insgesamt handelt sich bei Herders „Das Abendmahl“ um ein stark spirituelles Werk, das intensiv die tiefe Opfer- und Liebesbereitschaft Jesu für seine Freunde und die Menschheit darstellt. Durch die eindringliche Schilderung des letzten Mahls und die abschließenden Emily-Dickinson-Strophen, die eine Vision des Paradieses zeichnen, werden die Tiefe dieser Liebe und der tragische, aber letztendlich hoffnungsvolle Weg Jesu durch das Leiden bis hin zum Tod sehr bewegend dargestellt. Es stellt eine tiefe religiöse Überzeugung und Glauben an die erlösende Kraft der Liebe dar und kann als eine reflexive Auseinandersetzung mit den Themen Leiden, Sterben und Erlösung gelesen werden, die dabei eine tiefe spirituelle Hoffnung und ein Vertrauen in den göttlichen Plan offenbaren.

Weitere Informationen

Johann Gottfried Herder ist der Autor des Gedichtes „Das Abendmahl“. Im Jahr 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1760 und 1803. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zu. Bei Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Zwischen den Epochen Empfindsamkeit und Klassik lässt sich in den Jahren zwischen 1765 und 1790 die Strömung Sturm und Drang einordnen. Geniezeit oder zeitgenössische Genieperiode sind häufige Bezeichnungen für diese Literaturepoche. Die wesentlichen Merkmale des Sturm und Drang lassen sich als ein Auflehnen oder Rebellieren gegen die Aufklärung zusammenfassen. Das philosophische und literarische Leben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die Literatur sollten dadurch maßgeblich beeinflusst werden. Die Vertreter waren meistens junge Autoren, zumeist nicht älter als 30 Jahre. In den Dichtungen wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die alten Werke vorheriger Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Dennoch wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Mit seinen beiden bedeutenden Vertretern Schiller und Goethe entwickelte sich der Sturm und Drang weiter und ging in die Weimarer Klassik über.

Zeitlich lässt sich die Weimarer Klassik mit Goethes Italienreise 1786 und mit Goethes Tod im Jahr 1832 eingrenzen. Zwei gegensätzliche Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert beeinflusst. Die Aufklärung und die gefühlsbetonte Strömung Sturm und Drang. Die Weimarer Klassik ist eine Synthese dieser beiden Elemente. Die Weimarer Klassik wird häufig nur als Klassik bezeichnet. Beide Bezeichnungen sind in der Literatur gebräuchlich. In Anlehnung an das antike Kunstideal wurde in der Klassik nach Harmonie, Vollkommenheit, Humanität und der Übereinstimmung von Form und Inhalt gesucht. Kennzeichnend ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal der Literaturepoche des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Vernunft und Gefühl. Die Vertreter der Epoche haben in der Klassik auf Gestaltungs- und Stilmittel aus der Antike zurückgegriffen. Schiller, Goethe, Herder und Wieland können als die Hauptvertreter der Klassik angesehen werden. Aber nur Schiller und Goethe inspirierten und motivierten einander durch eine intensive Zusammenarbeit und wechselseitige Kritik.

Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 224 Worte. Der Dichter Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „Das Kind der Sorge“, „Das Orakel“ und „Das Ross aus dem Berge“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Das Abendmahl“ weitere 413 Gedichte vor.

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