Das Abendmahl von Johann Gottfried Herder

In jener Nacht, in der Verrath
Und Tod sich unserm Herren naht',
Nahm Christus, brach ein dürres Brod
Und sprach: »So geh' ich in den Tod!
 
Zerbrochen wird das Weizenkorn,
Mein Leib; doch ist es nicht verlor'n;
Es sprießt empor; nehmt diesen Trank,
Den Kelch zu neuem Lobgesang!
 
Wie des unschuld'gen Lammes Blut,
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Gewährt mein Tod ein neues Gut,
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Befreiung von der Sklaverei;
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Dankt und genießt! Ihr werdet frei.
 
13 
Zwar werd' ich in der Sterblichkeit
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Nicht mit genießen diese Zeit,
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Allein sie kommt; dann denket mein!
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Mein Geist wird immer bei Euch sein.
 
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Im Reiche Gottes sehen wir
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Uns wieder; Ihr hienieden, Ihr,
19 
So oft Ihr dieses Mahl genießt,
20 
Denkt meiner, der stets um Euch ist!«
 
21 
Wir denken Dein, o Menschenfreund,
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Der sich mit uns so ganz vereint,
23 
Deß Sache unsre Sache war,
24 
Der sterbend Leben uns gebar.
 
25 
Wir denken Dein, großmüthig Lamm,
26 
Das Hohn und Undank auf sich nahm,
27 
Der Schmerz und Schmach und Tod vergißt,
28 
Weil er der Menschen Retter ist.
 
29 
Wir denken Dein, der hier und dort
30 
Mit uns will eins sein fort und fort,
31 
Den Matten, den Gefallnen hebt
32 
Und in der Seinen Herzen lebt.
 
33 
Wir treten ein in Deinen Bund;
34 
Noch sterbend machtest Du ihn kund:
35 
Befreiung war Dein edler Zweck,
36 
Aufopferung zu ihm der Weg.
 
37 
Wer nur sich selbst, nicht Andern lebt,
38 
Im Schlamm der Lüste sich begräbt
39 
Und Freund ist alter Heuchelei,
40 
Der ist nicht diesem Bunde treu.
 
41 
Wem Wahrheit über Alles gilt,
42 
Wem Menschenheil die Seele füllt,
43 
Für Andre wirkend sich vergißt,
44 
Der ist nach Deinem Sinn ein Christ.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.1 KB)

Details zum Gedicht „Das Abendmahl“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
44
Anzahl Wörter
257
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Das Abendmahl“ wurde von Johann Gottfried Herder geschrieben. Herder ist eine bekannte Persönlichkeit der deutschen Aufklärung und der Weimarer Klassik, er lebte von 1744 bis 1803.

Auf den ersten Blick scheint dieses Gedicht eine detaillierte Betrachtung und Interpretation des biblischen Abendmahls zu sein, bei dem Jesus Christus seine Jünger auf seinen bevorstehenden Tod vorbereitet. Es vermittelt einen ernsten und bedachten Eindruck.

Inhaltlich geht Herder in den ersten vier Strophen auf die Symbolik des Abendmahls ein: Brot steht für den Körper Christi, Wein für sein Blut, beides gibt Christus seinen Jüngern als Zeichen seiner anstehenden Opferung. Es wird deutlich, dass Christus seinen Tod als notwendige Opferung für die Befreiung der Menschen sieht. In der fünften Strophe wird eine Wiedervereinigung im Reich Gottes in Aussicht gestellt. In den Strophen sechs bis zehn spricht das lyrische Ich darüber, was es bedeutet, an Christus zu denken und sein Vermächtnis anzunehmen. Dies beinhaltet, für andere zu leben und nicht in den „Schlamm der Lüste“ zu fallen. Die letzte Strophe endet mit der Feststellung, dass ein Christ jemand ist, der die Wahrheit über alles stellt und dessen Seele vom Wohl der Menschen erfüllt ist.

Formal ist das Gedicht strikt strukturiert: Es besteht aus elf vierzeiligen Strophen. Die Sprache ist eher altertümlich und enthält viele biblische und religiöse Anspielungen. Hierdurch wird die Ernsthaftigkeit und Gravität des Themas unterstrichen. Zusammengefasst ist „Das Abendmahl“ eine tiefsinnige Betrachtung des christlichen Abendmahls und seiner Bedeutung für das christliche Leben. Es betont den Wert der Wahrheit, der Menschenliebe und der Aufopferung für andere.

Weitere Informationen

Johann Gottfried Herder ist der Autor des Gedichtes „Das Abendmahl“. Der Autor Johann Gottfried Herder wurde 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Zwischen den Jahren 1760 und 1803 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Bei Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Sturm und Drang ist die Bezeichnung für die Literaturepoche in den Jahren von etwa 1765 bis 1790 und wird häufig auch Geniezeit oder zeitgenössische Genieperiode genannt. Diese Bezeichnung entstand durch die Verherrlichung des Genies als Urbild des höheren Menschen und Künstlers. Der Sturm und Drang knüpft an die Empfindsamkeit an und geht später in die Klassik über. Der Sturm und Drang war die Phase der Rebellion junger deutscher Autoren, die sich gegen die Prinzipien der Aufklärung und das gesellschaftliche System wendeten. Bei den Vertretern der Epoche des Sturm und Drang handelte es sich vorwiegend um Schriftsteller jüngeren Alters. Um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Vorschein zu bringen, wurde insbesondere darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Die Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Aber dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Goethe, Schiller und die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.

Auf zeitlicher Ebene lässt sich die Weimarer Klassik mit Goethes Italienreise im Jahr 1786 und mit Goethes Tod 1832 eingrenzen. Zwei gegensätzliche Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert bewegt. Die Aufklärung und die gefühlsbetonte Strömung Sturm und Drang. Die Weimarer Klassik ist eine Synthese dieser beiden Elemente. Wie der Name bereits verrät, liegen der Ausgangspunkt und das literarische Zentrum der Weimarer Klassik, die auch kurz Klassik genannt wird, in Weimar. Zum Teil wird auch Jena als ein weiteres Zentrum der Literaturepoche angesehen. In Anlehnung an das antike Kunstideal wurde in der Klassik nach Vollkommenheit, Harmonie, Humanität und der Übereinstimmung von Form und Inhalt gesucht. Charakteristisch ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal der Literaturepoche des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Gefühl und Vernunft. Die Autoren haben in der Weimarer Klassik auf Stil- und Gestaltungsmittel aus der Antike zurückgegriffen. Die bedeutendsten Schriftsteller der Weimarer Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Weitere Schriftsteller der Weimarer Klassik sind Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder. Die beiden zuletzt genannten arbeiteten aber jeweils für sich. Einen produktiven Austausch im Sinne eines gemeinsamen Arbeitsverhältnisses gab es nur zwischen Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller.

Das vorliegende Gedicht umfasst 257 Wörter. Es baut sich aus 11 Strophen auf und besteht aus 44 Versen. Weitere Werke des Dichters Johann Gottfried Herder sind „Das Glück“, „Das Kind der Sorge“ und „Das Orakel“. Zum Autor des Gedichtes „Das Abendmahl“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 413 Gedichte vor.

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