Schläfrig hangen die sonnenmüden Blätter von Nikolaus Lenau

Schläfrig hangen die sonnenmüden Blätter;
alles schweiget im Walde, nur eine Biene
summt dort an der Blüte mit mattem Eifer;
sie auch ließ vom sommerlichen Getöne,
eingeschlafen vielleich im Schoß der Blume.
Hier, noch Frühlings, rauschte die muntre Quelle;
still versiegend, ist in die Luft zergangen
all ihr frisches Geplauder, helles Schimmern.
Traurig kahlt die Stätte, wo einst ein Quell floß,;
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horchen muß ich noch dem gewohnten Rauschen,
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ich vermisse den Bach, wie liebe Grüße,
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die sonst fernher kamen, nun ausgeblieben.
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Alles still, einschläfernd; des dichten Mooses
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sanft nachgiebige Schwellung ist so ruhlich;
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möge hier mich holder Schlummer beschleichen,
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mir die Schlüssel zu meinen Schätzen stehlen,
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und die Waffen entwenden meines Zornes,
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daß die Seele, rings nach außen vergessend,
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sich in ihre Tiefen hinein erinnre.
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Preisen will ich den Schlummer, bis er leise
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naht in diesem Dunkel und mir das Aug schließt.
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Schlaf, du kindlicher Gott, du Gott der Kindheit!
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Du Verjünger der Welt, die, dein entbehrend,
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rasch in wenig Stunden wäre gealtert.
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Wundertätiger Freund! Erlöser des Herzens!
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Rings umstellt und bewacht am hellen Tage
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ist das Herz in der Brust und unzugänglich
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für die leiseren Genien des Lebens,
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denn ihm wandeln voran auf allen Wegen
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die Gedanken, bewaffnet, als Liktoren,
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schreckend und verscheuchend lieblichen Zauber.
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Aber in der Stille der Nacht, des Schlummers,
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wacht die Seele heimlich und lauscht wie Hero,
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bis verborgen ihr Gott ihr naht, herüber
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schwimmend durch das wallende Meer der Träume.
 
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Eine Flöte klang mir im Schlaf zuweilen,
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wie ein Gesang der Urwelt, Sehnsucht weckend,
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daß ich süß erschüttert erwacht in Tränen,
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und noch lange hörte den Ruf der Heimat.
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Bliebe davon ein Hauch in meinen Liedern!
 
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Schlaf, melodischer Freund, woher die Flöte?
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Ist sie ein Ast des Walds, durchhaucht vom Gotte,
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hört ich im Traum des heiligen Pan Syringe?
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Schläfrig hangen die sonnenmüden Blätter“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
43
Anzahl Wörter
295
Entstehungsjahr
1802 - 1850
Epoche
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das analysierte Gedicht „Schläfrig hangen die sonnenmüden Blätter“ stammt von dem österreichisch-ungarischen Dichter Nikolaus Lenau, der von 1802 bis 1850 lebte. Lenau ist bekannt für seine lyrische Poesie, besonders für seine Naturlyrik und Liebesgedichte. Somit kann das Gedicht in die Epoche der Spätromantik eingestuft werden, in der die Natur oft als Spiegel der menschlichen Seele dargestellt und mystifiziert wurde.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht melancholisch und mystisch. Der Tonfall ist ruhig und träumerisch, verbunden mit einer starken Sehnsucht.

Inhaltlich beschreibt das lyrische Ich seine Beobachtungen in der Natur. Es betrachtet die schläfrigen, von der Sonne ermüdeten Blätter, und beschreibt die Stille im Wald. Die Natur erscheint ruhend, fast schlafend. Das lyrische Ich scheint den Schlaf zu begehren und zu idealisieren, und stellt den Schlaf als eine erholsame und befreiende Kraft dar, die es dem Individuum erlaubt, sich vom bewussten Denken zu lösen und in seine innersten Tiefen zu gehen. Es schildert daraufhin in der zweiten Strophe, wie es von einer Flöte geweckt wird und sagt, und dass es lange den Ruf der Heimat hört.

Formal gesehen besteht das Gedicht aus drei Strophen mit unterschiedlicher Anzahl von Versen. Der erste reiche Abschnitt umfasst 35 Verse, während der zweite Abschnitt fünf und der dritte Abschnitt lediglich drei Verse zählt. Die Versform ist nicht streng gebunden, und die Sprache ist lyrisch und bildhaft, mit vielen Metaphern und Vergleichen.

Die Sprache des Gedichts ist reich an Symbolik und Metaphern, insbesondere im Bezug auf Naturphänomene. Die Waldlandschaft spiegelt die innere Verfassung des lyrischen Ichs wider und steht sinnbildlich für Entspannung, Ruhe und auch Einsamkeit. Der Schlaf wird mystifiziert und mit Gottähnlichkeit aufgeladen, was zeigt, dass Lenau in der Spätromantik verankert ist. Auch der Klang der Flöte, der als „Gesang der Urwelt“ bezeichnet wird, drückt tiefe Melancholie und Heimweh aus, vermutlich die Sehnsucht des Dichters nach einer idyllischen Vergangenheit oder einer heimischen Landschaft.

Abschließend lässt sich sagen, dass das Gedicht von Lenau ein Meisterwerk der Spätromantik ist, in der die Natur als Spiegel der menschlichen Seele verwendet wird. Mit seiner tiefen Melancholie und Sehnsucht, verbunden mit einer idealisierten Darstellung des Schlafes und der Kindheit, bietet es Einblicke in die romantische Gedankenwelt und regt dazu an, über das Verhältnis von Mensch und Natur, sowie bewusstem und unbewusstem Dasein nachzudenken.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Schläfrig hangen die sonnenmüden Blätter“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Nikolaus Lenau. Lenau wurde im Jahr 1802 in Csatád geboren. In der Zeit von 1818 bis 1850 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Biedermeier zuordnen. Der Schriftsteller Lenau ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 295 Wörter. Es baut sich aus 3 Strophen auf und besteht aus 43 Versen. Die Gedichte „Herbstentschluß“, „Herbst“ und „Der Postillion“ sind weitere Werke des Autors Nikolaus Lenau. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Schläfrig hangen die sonnenmüden Blätter“ weitere 51 Gedichte vor.

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