Das Gewissen von Johann Gottfried Herder
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Wann kommt der Herr der Herrlichkeit |
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Mit seines Reiches Freuden? |
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Wann kommt der Richter, Freud' und Leid, |
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Und Bös und Gut zu scheiden? |
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Er ist nicht fern, er ist uns nah; |
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In unserm Herzen ist er da! |
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Du kannst ihn nicht vermeiden. |
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In unserm Herzen spricht sein Spruch; |
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Wer mag den Spruch bestehen? |
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Frei aufgeschlagen ist sein Buch |
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Mit jeglichem Vergehen. |
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Sein Blick wie Feuerflamme fährt |
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Und theilt wie ein zweischneidig Schwert, |
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Was keine Augen sehen. |
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Was keines Feindes Mund erzählt, |
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Erzählt uns das Gewissen; |
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Was sich der Heuchler lang' verhehlt, |
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Wird er sich sagen müssen, |
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Wenn Gottes Zeit kommt und ihn schilt, |
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Wenn Gottes Zeit kommt und vergilt |
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Und läßt den Frevler büßen. |
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Wem kam nicht diese Gotteszeit |
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So oft und oft im Leben? |
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Wer muß nicht die Gerechtigkeit |
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Anflehn, ihm zu vergeben? |
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Und fühlt in seinem Innern noch |
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Viel stumme Schulden, denen doch |
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Er einst wird müssen beben! |
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Du Herzensrichter, auf! erfahr |
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Und prüfe, wie wir's meinen! |
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Mach unsre Fehl uns offenbar; |
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Was nützt es, gut zu scheinen! |
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Dem Ausspruch des Gewissens treu |
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Und feind sein jeder Heuchelei, |
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Dies stellt uns zu den Deinen. |
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Denn wen sein eignes Herz beschämt |
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Mit innerstem Beschämen, |
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Die Schuld, die uns im Innern grämt, |
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Wer könnt' uns die entnehmen? |
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Herr, gieb, daß wir der Sünde Schritt |
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Und Deiner Strafe leisen Tritt, |
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Eh sie uns naht, vernehmen! |
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Und wenn die letzte Stunde schlägt, |
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Der Niemand kann entgehen, |
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So gieb, Herr, daß wir unbewegt |
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Auf unser Innres sehen, |
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Daß unser Leben uns dann klar |
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Und rein erschein' und offenbar |
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Das kleineste Vergehen! |
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Dann sprich in uns, o Richter: »Komm! |
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Dein Lohn ist Dir beschieden. |
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Was Du gethan hast gut und fromm |
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Dem Dürftigsten hienieden, |
54 |
Das hast der Menschheit Du gethan, |
55 |
Dem Menschensohne. Komm hinan! |
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Genieße Himmelsfrieden!« |
Details zum Gedicht „Das Gewissen“
Johann Gottfried Herder
8
56
292
1744 - 1803
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht „Das Gewissen“ wurde von Johann Gottfried Herder verfasst, einem bedeutenden Dichter und Philosophen der deutschen Aufklärung, der von 1744 bis 1803 lebte. Das Gedicht lässt sich in zeitlicher Hinsicht daher der Epoche der Aufklärung und Sturm und Drang zuordnen.
Der erste Eindruck des Gedichts ist von einer tiefen Religiosität und der Auseinandersetzung mit moralischen und ethischen Fragen geprägt. Die Betonung von innerer Reue und der Mahnung zu Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit unterstreicht diese moralische Ausrichtung des Gedichts.
Inhaltlich handelt das Gedicht von der großen Bedeutung des Gewissens im menschlichen Leben. Das lyrische Ich stellt das Gewissen als etwas dar, was uns nahe und in unserem Herzen ist, und uns unausweichlich zum Rechenschaftsbericht zwingt. Es drückt dabei auch eine Furcht vor der endgültigen Abrechnung mit unseren Taten aus und betont die Bedeutung von Reue und dem Bemühen um Gute und Moral in unserem Leben. Es appelliert, dass wir uns stets unseres Gewissens und unseren Taten bewusst sein sollen und stets darauf hinarbeiten sollen, eine gerechte und moralische Lebensführung zu haben.
Formal ist das Gedicht in acht Strophen unterteilt, die jeweils sieben Verse umfassen. Die Sprache des Gedichts ist von einer klaren, direkten und dennoch emotionalen und bildhaften Ausdrucksweise geprägt. Insbesondere die Verwendung von religiösen und moralischen Begriffen wie „Herr der Herrlichkeit“, „Richter“, „Freud und Leid“, „Gut und Böse“ und „Gewissen“ gibt dem Gedicht eine tiefe moralische und ethische Ausrichtung. Auch die wiederholte Verwendung des Personalpronomens „wir“ betont den appellativen Charakter des Gedichts und seine Ausrichtung auf den Leser.
Zusammenfassend handelt das Gedicht „Das Gewissen“ von Johann Gottfried Herder von der zentralen Bedeutung des Gewissens im Leben und der moralischen Verantwortung, die jeder Mensch für seine Taten trägt. Es drückt dabei sowohl Furcht vor der endgültigen Abrechnung mit unseren Taten als auch die Bedeutung von Reue und moralischer Lebensführung aus.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Das Gewissen“ ist Johann Gottfried Herder. Herder wurde im Jahr 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. In der Zeit von 1760 bis 1803 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.
Der Sturm und Drang ist eine Strömung in der deutschen Literaturgeschichte, die häufig auch als Genieperiode oder Geniezeit bezeichnet wird. Die Literaturepoche ordnet sich nach der Epoche der Empfindsamkeit und vor der Klassik ein. Sie lässt sich auf die Zeit zwischen 1765 und 1790 eingrenzen. Die Literaturepoche des Sturm und Drang war eine Protestbewegung, die aus der Aufklärung hervorging. Der Protest richtete sich dabei gegen den Adel und dessen höfische Welt, sowie andere absolutistische Obrigkeiten. Er richtete sich aber auch gegen das Bürgertum, das als freudlos und eng galt, und dessen Moralvorstellungen veraltet waren. Als Letztes richtete sich der Protest des Sturm und Drang gegen Traditionen in der Literatur. Die Schriftsteller des Sturm und Drang waren zumeist junge Autoren, häufig unter 30 Jahre alt. In den Gedichten wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Aber dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Goethe, Schiller und die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.
Die Weimarer Klassik ist eine Epoche der Literatur, die insbesondere von den Dichtern Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller geprägt wurde. Goethes Italienreise im Jahr 1786 markiert den Anfang der Epoche. Das Todesjahr von Goethe, 1832, markiert das Ende der Weimarer Klassik. In der Literaturepoche sind Einflüsse der Französischen Revolution festzustellen. Die Weimarer Klassik wird häufig nur als Klassik bezeichnet. Beide Bezeichnungen werden in der Literatur genutzt. Statt auf Widerspruch und Konfrontation wie noch in der Aufklärung oder im Sturm und Drang strebte die Klassik nach Harmonie. Die wichtigsten Werte sind Menschlichkeit und Toleranz. Die Klassik orientierte sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. Ziel der Literaturepoche der Klassik war es die ästhetische Erziehung des Menschen zu einer „charakterschönen“ Persönlichkeit voranzutreiben. In der Lyrik haben die Autoren auf Gestaltungs- und Stilmittel aus der Antike zurückgegriffen. So war beispielsweise die streng an formale Kriterien gebundene Ode besonders geschätzt. Des Weiteren verwendeten die Dichter jener Zeit eine gehobene, pathetische Sprache. Die wichtigen Dichter der Klassik sind: Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried von Herder.
Das Gedicht besteht aus 56 Versen mit insgesamt 8 Strophen und umfasst dabei 292 Worte. Der Dichter Johann Gottfried Herder ist auch der Autor für Gedichte wie „Das Glück“, „Das Kind der Sorge“ und „Das Orakel“. Zum Autor des Gedichtes „Das Gewissen“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 413 Gedichte vor.
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