Die Pfunde von Johann Gottfried Herder
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Ein Edler zog fern über Land, |
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Daß er sein Reich einnähme |
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Und dann, gekrönt mit Sieg und Huld, |
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Ein Vater wiederkäme. |
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»Wem soll ich meinen Schatz vertraun?« |
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Sprach er zu seinen Treuen. |
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»Nehmt, handelt! und ich komme bald; |
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Es soll Euch nicht gereuen!« |
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Sie handelten; er kam noch nicht, |
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Ein Theil ward matt und müde. |
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»Und kommt er denn? Er kommt noch nicht!« |
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Sie schlummerten in Friede. |
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Er kam! Auch in der Ferne war |
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Sein Herz tief an den Treuen. |
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»Legt dar nun,« sprach er, »Pfund und Pfand! |
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Es soll Euch nicht gereuen!« |
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Mit Freuden trat der Erste dar, |
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Für eins mit zehen Pfunden. |
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»Hier, Herr, ist Deiner Güte Pfand, |
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Und was ich Armer funden.« |
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»Dank, treuer Knecht, im Kleinen schon |
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So großer, reicher Treue! |
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Komm, König über Länder zehn, |
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Zu Deines Herren Freude!« |
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Demüthig trat der Andre dar, |
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Für eins nur fünf an Pfunden. |
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»Hier hast Du, Herr, Dein edles Pfand; |
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Wie wenig hat es funden!« |
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»Dank, Treuer, im Geringern schon |
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So großer, reicher Treue! |
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Herr über fünf der Länder, komm |
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Zu Deines Herren Freude!« |
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Mit Beben naht' der Dritte sich, |
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In Trotz verhüllt sein Beben. |
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»Herr,« sprach er, »nimm Dein Pfund und Pfand, |
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All, was Du mir gegeben! |
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Ich kannte Dich wol, harten Mann, |
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Der erntet ungesäet |
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Und fremden Schweiß und saures Gut |
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Auf 's Armen Aue mähet. |
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Drum hatt' ich, Dir zu wuchern, Zorn; |
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Hier, Harter, ist das Deine! |
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Die sichre Erde barg es Dir; |
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Dies Schweißtuch ist das Meine.« |
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»Dein Mund spricht selber Dir Gericht, |
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Untreuer meiner Knechte; |
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So wußtest Du mich harten Mann, |
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Und wie so hart ich rechte, |
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Und übtest nicht, was Du gewußt, |
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Knecht, Deines Herren Willen, |
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Des harten Herren letztes Wort |
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Mit Wucher zu erfüllen? |
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Nehmt hin von ihm sein treulos Pfand! |
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Dem Reichsten sei's gegeben. |
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Wer nicht hat, büße, was er hat; |
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Wer hat, dem wird gegeben.« |
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Zwo Stufen gehn auf und hinab |
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Zum Himmel und zur Hölle: |
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Wer hat, gewinnt bis auf zum Thron; |
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Wer nicht hat, seine Stelle |
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Sinkt immer tiefer, tiefer ab. |
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Herr, laß mich Deiner Gaben |
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Geringste brauchen treu und ganz, |
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Und ich werd' Alles haben. |
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Der Engel, der die Perlen flicht |
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Zu unsrer Siegeskrone, |
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Der ist es, der die Thränen zählt |
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Und sammelt uns zum Lohne; |
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Was wir im Dunkeln hier gesä't |
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Und hielten längst verloren, |
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Das blüht dort Ernte tausendfach, |
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Mit uns dann neugeboren. |
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O Wahrheit, Wahrheit, Ewigkeit! |
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Du reifst in Dorn und Blume; |
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Das Staubkleid fällt, das Alles hier |
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Vertäuscht zu Hohn und Ruhme. |
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Gewissens-Pflicht-Vergeßlichkeit, |
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Du feige Heuchlerhülle, |
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Hin, hin bist Du! Wie dränget sich |
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Auf uns der Wahrheit Fülle! |
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Verleumder, Feinde, Neider, wo, |
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Wo sind itzt Eure Schatten? |
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Seht, wie sich Licht und Wahrheit liebt, |
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Und Treu und Huld sich gatten! |
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Zu Freunden drängt sich Freund und Freund, |
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Die Gleiches hier erlitten, |
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Erwünscht, gewirkt, verloren und |
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Und sich die Kron' erstritten. |
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Hier trennten Nacht und Nebel sie, |
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Jahrhunderte und Lande; |
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Dort Alle Glieder, Brüder nun |
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An eines Herren Pfande; |
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Ihr Wille fleußt wie Sonnenlicht |
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Aus aller Welt zusammen; |
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Zusammenflammt da ihr Gebet, |
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Ihr Mühn in hellen Flammen. |
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Elias, Moses werd' ich sehn |
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Mit ihren tausend Pfunden, |
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Und Paulus, Luther vor mir stehn |
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Mit ihren hundert Pfunden. |
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O, legt' ich freudig schüchtern dann |
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Nach Euch mein Quentlein nieder |
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Und fände, grüßte, fühlt' Euch dann |
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Mir Väter, Freund' und Brüder! |
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»Du locktest und Du hobest mich, |
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Warst bei mir im Gebete, |
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Du strafetest, Du halfest mir, |
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Daß freudig vor ich trete! |
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Ich dank' Euch meine Seligkeit, |
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Ihr schön verkannten Seelen! |
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Wir sind itzt Glieder, Brüder nun |
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Und sind es sonder Wählen.« |
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Herr, Seligkeit und Himmel liegt |
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In jeder Deiner Gaben; |
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Wer neidet und verscharret sie, |
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Verdient er, mehr zu haben? |
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Wer treu ist, Alles hat er schon. |
118 |
Daß ich mich ewig freue, |
119 |
O Geber, und mir Alles sei, |
120 |
Gieb mir im Kleinsten Treue! |
Details zum Gedicht „Die Pfunde“
Johann Gottfried Herder
15
120
628
1744 - 1803
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Die Pfunde“ wurde von Johann Gottfried Herder, einem der berühmtesten deutschen Dichter der Aufklärung und des Sturm und Drang, verfasst. Er lebte von 1744 bis 1803, und das Gedicht lässt sich in diese Zeitspanne einordnen.
Beim ersten Lesen des Gedichts bemerkt man die längere Länge und die verwendete narrative Form. Die Geschichte, die Herder erzählt, hat symbolische und ethische Botschaften, die, obwohl sie in eine fiktive Erzählung eingebettet sind, vom Leser auf sein eigenes Leben angewandt werden können.
Das Gedicht beginnt mit einer Geschichte: Ein adeliger Herr verlässt sein Reich und übergibt seinen Untergebenen seinen Schatz, damit sie damit handeln können. Als er zurückkehrt, zeigt sich wer treu und offen seine Verantwortung wahrgenommen hat und wer nicht. Diejenigen, die treu waren, haben auch den größten Nutzen für sich selbst aus ihren Anstrengungen gezogen, da ihre Reichtümer sich vervielfacht haben, während derjenige, der aus Angst und Missverständnis seinen Teil unangetastet ließ, letztendlich nichts hat.
Die Aussage des lyrischen Ich ist, dass diejenigen, die die ihnen überlassenen Ressourcen und Möglichkeiten bestmöglich ausnutzen, belohnt werden, während diejenigen, die aus Angst oder Unverständnis nichts tun, am Ende nichts haben. Mit dieser Botschaft ermutigt das lyrische Ich den Leser, Chancen zu ergreifen und zu handeln, anstatt vor Angst und Unsicherheit stillzustehen.
Was die Form des Gedichts angeht, so besteht es aus einer Reihe von 8-zeiligen Strophen, und es wird ein regelmäßiger Versmuster befolgt. Die verwendete Sprache ist relativ formell, aber nicht unzugänglich. Es gibt gelegentlich archaische oder formelle Ausdrücke, die zum allgemeinen Ton des Gedichts beitragen.
Zusammengefasst handelt es sich um ein moralisch-lehrhaftes Gedicht, das den Leser auffordert, in seinem Leben aktiv zu sein, die ihm präsentierten Chancen zu nutzen und nicht aus Angst oder Missverständnis untätig zu bleiben. Es hat auch eine spirituelle Dimension, in der das lyrische Ich andeutet, dass Handlungen in diesem Leben Auswirkungen auf das Jenseits haben können. Diese Botschaft zeigt, dass das Gedicht auch eine religiöse Dimension hat, die sich mit dem Leben nach dem Tod und dem ethischen Verhaltenskodex beschäftigt, der folgen sollte.
Weitere Informationen
Johann Gottfried Herder ist der Autor des Gedichtes „Die Pfunde“. 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Im Zeitraum zwischen 1760 und 1803 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.
Zwischen den Literaturepochen Empfindsamkeit und Klassik lässt sich in den Jahren von 1765 bis 1790 die Strömung Sturm und Drang einordnen. Zeitgenössische Genieperiode oder Geniezeit sind häufige Bezeichnungen für diese Literaturepoche. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das literarische und philosophische Denken im deutschen Sprachraum. Der Sturm und Drang „stürmte“ und „drängte“ als Protest- und Jugendbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale. Ein wesentliches Merkmal des Sturm und Drang ist somit ein Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung. Die Schriftsteller der Epoche des Sturm und Drangs waren häufig unter 30 Jahre alt. Die Autoren versuchten in den Gedichten eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Künstlern aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die traditionellen Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.
Zwei gegensätzliche Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert bewegt: die Aufklärung und eine gefühlsbetonte Strömung, die durch den Sturm und Drang vertreten wurde. Die Weimarer Klassik ist eine Verschmelzung dieser beiden Elemente. Die Weimarer Klassik nahm ihren Anfang mit Goethes Italienreise im Jahr 1786 und endete mit Goethes Tod im Jahr 1832. Das Zentrum der Weimarer Klassik lag in Weimar. Häufig wird die Epoche auch nur als Klassik bezeichnet. Humanität, Güte, Gerechtigkeit, Toleranz, Gewaltlosigkeit und Harmonie sind die wichtigsten Themen. Die Weimarer Klassik orientiert sich am antiken Kunstideal. In der Weimarer Klassik wird eine sehr einheitliche, geordnete Sprache verwendet. Kurze, allgemeingültige Aussagen sind häufig in Werken der Weimarer Klassik zu finden. Da man die Menschen früher mit der Kunst und somit auch mit der Literatur erziehen wollte, legte man großen Wert auf formale Ordnung und Stabilität. Metrische Ausnahmen befinden sich oftmals an Stellen, die hervorgehoben werden sollen. Die wichtigsten Vertreter der Weimarer Klassik sind: Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried von Herder und Christoph Martin Wieland.
Das vorliegende Gedicht umfasst 628 Wörter. Es baut sich aus 15 Strophen auf und besteht aus 120 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Gottfried Herder sind „An Auroren“, „An den Schlaf“ und „An die Freundschaft“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Pfunde“ weitere 413 Gedichte vor.
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Zum Autor Johann Gottfried Herder sind auf abi-pur.de 413 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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