Die Frage der Sehnsucht von Johann Gottfried Herder
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Herr, unser Gott, wann kommt Dein Reich? |
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Wir warten sein so lange! |
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Wir beten: »Zu uns komm' Dein Reich!« |
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Und ist uns sehnlich bange. |
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Der Frevler höhnt, der Spötter lacht, |
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Der Fromme seufzt vergebens |
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Am Morgen und in Mitternacht: |
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»Wo bleibst Du, Fürst des Lebens?« |
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Du sprachst: »Ich komm', ich komme bald |
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Mit großem Lohn und Strafen.« |
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Wo ist, wo ist Dein Aufenthalt? |
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Die Väter sind entschlafen. |
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Sie hofften, seufzten auch, wie wir, |
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Und legten sich danieder; |
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Wir hoffen, seufzen auch nach Dir, |
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Und Du erscheinst nicht wieder! |
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Bist Du zu Deines Vaters Hand, |
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Wo Du Dein Reich genommen, |
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Und siehst nicht mehr Dein Erdenland |
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Und kannst nicht wiederkommen? |
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Und Deine Lehre wär' ein Traum |
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Und unser Wunsch verloren, |
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Und wir erstürben wie der Baum? |
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O besser, nie geboren! |
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Wo sind sie, die Dich je geliebt, |
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Für Dich ihr Leben gaben |
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Und hofften, die Du hier betrübt, |
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Du würdest dort sie laben? |
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Sind sie in Deines Vaters Reich, |
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In Deinem Freudensaale, |
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Und wünschen uns nicht auch zugleich |
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Zum ew'gen Abendmahle? |
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Der Frevler höhnt, der Spötter lacht, |
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Der Böse triumphiret, |
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Und Du, Herr, hast noch nicht vollbracht, |
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Hast's noch nicht ausgeführet, |
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Wofür Du lebtest, littest, starbst |
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Und auferstandest wieder |
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Und Dir, ein Haupt zu sein, erwarbst! |
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Hier sind wir, Deine Glieder! |
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Sind ohne Deinen Geist und Kraft |
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Verwelkte, todte Glieder; |
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Beleb uns, Himmels-Lebenssaft, |
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Und weck, erweck uns wieder! |
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Wir fordern nicht, wir wünschen nur: |
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Laß unsre Lampen brennen, |
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Und wollst, o Herr der Creatur, |
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Uns einst die Deinen nennen! |
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Ob Gott verzeucht, so harre sein, |
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Er wird gewißlich kommen! |
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Sein Ja ist Ja! sein Nein ist Nein! |
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Er hat das Reich genommen |
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Und ist zu seines Vaters Hand |
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Und kommt, ein König, wieder; |
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Und die er nieden sein genannt, |
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Sind ewig seine Glieder. |
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Er theilt mit ihnen Herrlichkeit |
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Und Freudenmahl und Krone |
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Und winkt, daß Jeder heut, schon heut |
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In seiner Hütten wohne |
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Und pfleg' im Himmel Bürgerschaft |
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Und bet' und ihm vertraue |
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Und herrsche hier in seiner Kraft, |
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Bis droben er ihn schaue. |
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Gebet und Glaube, Hoffnung, Muth |
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Und stilles Thun und Leiden |
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Sind uns hienieden Himmelsgut |
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Und Vorschmack jener Freuden, |
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Die er für uns, für uns erwarb, |
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Als, auch von Gott verlassen, |
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Er für die Treugeliebten starb, |
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Sie ewig zu erfassen. |
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Und ließ uns hier sein Abendmahl, |
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Sein Wort: »Ich komme wieder!« |
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Und sprach zu seiner kleinen Zahl: |
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»Lebt, sterbet mir, Ihr Brüder!« |
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Wir leben Dir, wir sterben Dir, |
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Dich wieder bald zu sehen; |
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Dir leben wir, Dir sterben wir; |
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Dein Wort kann nicht vergehen. |
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Bald, unser Leben, ach! ist bald |
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Ein Nichts, ein Traum verschwunden; |
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Komm bald, Du ew'ger Aufenthalt! |
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Geht hin, Ihr kurzen Stunden! |
Details zum Gedicht „Die Frage der Sehnsucht“
Johann Gottfried Herder
21
84
437
1744 - 1803
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Dieses Gedicht wurde von Johann Gottfried Herder verfasst und gehört zur Epoche der Aufklärung bzw. Frühromantik. Herder war eine der Schlüsselfiguren dieser Epoche und lebte zwischen 1744 und 1803.
Bei erstem Lesen dominieren religiöse Themen und Motive. Die verwendete Sprache ist eher formell und klassisch, was der Zeit, in der es entstanden ist, entspricht.
Inhaltsmäßig setzt sich das lyrische Ich mit der göttlichen Gerechtigkeit, dem Sinn des Lebens und Tod und der Bedeutung der Hoffnung und des Glaubens auseinander. Die wiederkehrende Frage nach Gottes Reich und wann es kommen wird, zeigt eine tiefe Sehnsucht und Wunsch nach Erlösung und Gerechtigkeit. Das lyrische Ich beklagt die Lästerungen der „Frevler“ und „Spötter“ und das Leid der Frommen, die vergeblich seufzen. Trotz allem behält das lyrische Ich ihren Glauben und ihre Hoffnung bei, betet um Stärkung und ermutigt zu Geduld und Ausdauer.
Formal besteht das Gedicht aus 21 vierzeiligen Strophen. Die durchgehende Strophenform verleiht dem Gedicht eine Art rhythmischer Konstanz und macht es gleichzeitig repetitiv. Die Sprache ist, wie bereits erwähnt, eher formell und beinhaltet viele religiöse Ausdrücke und archaische Formulierungen („Frevler“, „Spötter“, „Fürst des Lebens“ etc.).
Das Gedicht spiegelt die religiösen und existentiellen Diskurse der Zeit wider, in der es entstanden ist. Es zeigt, dass trotz der vorherrschenden Aufklärung der Glaube an Gott und die Auseinandersetzung mit Fragen nach der Erlösung und dem Jenseits nach wie vor aktuell war. Gleichzeitig ist es ein Ausdruck der Hoffnung und Bestärkung, dass Gerechtigkeit letztendlich obsiegen wird und dass durch Glauben, Geduld und Ausdauer die Schritte dorthin erleichtert werden. Zudem zeigt es einen gewissen Fatalismus und das Bewusstsein des menschlichen Leidens in der physischen Welt.
Weitere Informationen
Johann Gottfried Herder ist der Autor des Gedichtes „Die Frage der Sehnsucht“. Der Autor Johann Gottfried Herder wurde 1744 in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. Im Zeitraum zwischen 1760 und 1803 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.
Die Epoche des Sturm und Drang reicht zeitlich etwa von 1765 bis 1790. Sie ist eine Strömung innerhalb der Aufklärung (1720–1790) und überschneidet sich teilweise mit der Epoche der Empfindsamkeit (1740–1790) und ihren Merkmalen. Häufig wird die Epoche des Sturm und Drang auch als Genieperiode oder Geniezeit bezeichnet. Die Klassik knüpft an die Literaturepoche des Sturm und Drang an. Der Literaturepoche des Sturm und Drang geht die Epoche der Aufklärung voran. Die Ideale und Ziele der Aufklärung wurden verworfen und es begann ein Auflehnen gegen die Prinzipien der Aufklärung und das gesellschaftliche System. Die Autoren des Sturm und Drang waren zumeist Schriftsteller jüngeren Alters, häufig unter 30 Jahre alt. Die Autoren versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Goethe, Schiller und natürlich die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.
Die Weimarer Klassik ist eine Epoche der deutschen Literaturgeschichte, die von zwei bedeutenden Dichtern geprägt wurde: Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Die Literaturepoche beginnt im Jahr 1786 mit Goethes Italienreise und endet im Jahr 1832 mit Goethes Tod. Es gibt aber auch zeitliche Eingrenzungen, die die gemeinsame Schaffenszeit der beiden befreundeten Dichter Goethe und Schiller von 1794 bis zu Schillers Tod 1805 als Weimarer Klassik festlegen. Die Weimarer Klassik wird häufig nur als Klassik bezeichnet. Beide Bezeichnungen sind in der Literatur gebräuchlich. Die Autoren der Weimarer Klassik wollten die antiken Stoffe aufleben lassen. Mit der antiken Kunst beschäftigte sich Goethe während seiner Italienreise. Die Antike gilt nun als Ideal, um Harmonie und Vollkommenheit erreichen zu können. In der Weimarer Klassik wird eine geordnete, einheitliche Sprache verwendet. Kurze, allgemeingültige Aussagen (Sentenzen) sind häufig in Werken der Weimarer Klassik zu finden. Da man die Menschen früher mit der Kunst und somit auch mit der Literatur erziehen wollte, setzte man großen Wert auf formale Ordnung und Stabilität. Metrische Ausnahmen befinden sich immer wieder an Stellen, die hervorgehoben werden sollen. Schiller, Goethe, Wieland und Herder können als die Hauptvertreter der Weimarer Klassik genannt werden. Aber nur Goethe und Schiller motivierten und inspirierten einander durch eine intensive Zusammenarbeit und gegenseitige Kritik.
Das vorliegende Gedicht umfasst 437 Wörter. Es baut sich aus 21 Strophen auf und besteht aus 84 Versen. Weitere Werke des Dichters Johann Gottfried Herder sind „An Auroren“, „An den Schlaf“ und „An die Freundschaft“. Zum Autor des Gedichtes „Die Frage der Sehnsucht“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 413 Gedichte vor.
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