Der Werwolf von Christian Morgenstern
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Ein Werwolf eines Nachts entwich |
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von Weib und Kind, und sich begab |
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an eines Dorfschullehrers Grab |
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und bat ihn: Bitte, beuge mich! |
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Der Dorfschulmeister stieg hinauf |
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auf seines Blechschilds Messingknauf |
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und sprach zum Wolf, der seine Pfoten |
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geduldig kreuzte vor dem Toten: |
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,Der Werwolf, – sprach der gute Mann, |
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,des Weswolfs, Genitiv sodann, |
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,dem Wemwolf, Dativ, wie man’s nennt, |
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,den Wenwolf, – damit hat’s ein End’.‘ |
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Dem Werwolf schmeichelten die Fälle, |
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er rollte seine Augenbälle. |
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Indessen, bat er, füge doch |
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zur Einzahl auch die Mehrzahl noch! |
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Der Dorfschulmeister aber mußte |
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gestehn, daß er von ihr nichts wußte. |
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Zwar Wölfe gäb’s in großer Schar, |
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doch ‚Wer‘ gäb’s nur im Singular. |
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Der Wolf erhob sich tränenblind – |
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er hatte ja doch Weib und Kind!! |
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Doch da er kein Gelehrter eben, |
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so schied er dankend und ergeben. |
Details zum Gedicht „Der Werwolf“
Christian Morgenstern
6
24
135
1907/1908
Moderne
Gedicht-Analyse
„Der Werwolf“ stammt von Christian Morgenstern, einem deutschen Dichter, der von 1871 bis 1914 lebte. Er ist bekannt für seine humorvollen und teils absurden Gedichte, die oft auch einen tieferen, philosophischen Unterton haben.
Auf den ersten Blick scheint „Der Werwolf“ eine humorvolle und groteske Geschichte zu sein, in der ein Werwolf, ein typisches Schreckgespenst aus Folklore und Horror-Literatur, einen Dorfschulmeister um grammatische Unterweisung bittet.
Inhaltlich zeigt es einen Dialog zwischen einem Werwolf und einem Schulmeister über grammatische Feinheiten der deutschen Sprache. Der Werwolf wird hier nicht als furchteinflößendes Monster dargestellt, sondern in der Rolle eines Lernwilligen, der sich in Grammatik verbessern möchte. Als er um die Mehrzahl des Wortes „Werwolf“ bittet, muss der Dorfschullehrer jedoch zugeben, dass es dafür keine Regelung gibt. Der Wolf verlässt danach traurig, aber dankbar die Szene.
Das Gedicht scheint einerseits die Absurdität und Komplexität der deutschen Grammatik auf humorvolle Weise zu kommentieren, andererseits könnte es auch als Parabel gesehen werden, die den Willen zum Lernen und zur Verbesserung in jedem Individuum, egal wie abscheulich es nach gängigen Stereotypen auch erscheinen mag, hervorhebt.
In Bezug auf Form und Sprache ist das Gedicht in sechs Strophen mit jeweils vier Versen aufgebaut, was eine klare Struktur und Rhythmik ergibt. Die Sprache ist einfach und klar, mit einer Mischung aus Alltagssprache und formellen, bildungsbezogenen Begriffen. Der Einsatz von Reim, insbesondere von Paarreimen, trägt zur humorvollen und leichten Stimmung des Gedichts bei. Ungeachtet der humorvollen Tonlage, könnte die sprachliche Präzision und Klarheit der Darstellung von Grammatikregeln auch als Subtext eine Wertschätzung für Bildung und präzise Kenntnisse anzeigen. Im Großen und Ganzen balanciert „Der Werwolf“ zwischen humoristischer Erzählung und subtiler Reflexion über Bildung und Lernen.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Der Werwolf“ ist Christian Morgenstern. Im Jahr 1871 wurde Morgenstern in München geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1908 zurück. Zürich ist der Erscheinungsort des Textes. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Der Schriftsteller Morgenstern ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 135 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 24 Versen. Der Dichter Christian Morgenstern ist auch der Autor für Gedichte wie „Da nimm. Das laß ich dir zurück, o Welt“, „Das Auge der Maus“ und „Das Böhmische Dorf“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Werwolf“ weitere 189 Gedichte vor.
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Zum Autor Christian Morgenstern sind auf abi-pur.de 189 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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