Der Warnruf von Heinrich Kämpchen
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Der alte Jörgen hat mir so erzählt: |
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Zur Nachtschicht war ich einst allein vor Ort, |
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Im Flöze „Engelbrecht“, auf Grube „Franz“. |
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Mein Kamerad, wir schafften sonst zu zwei’n, |
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War krank geworden, und so mußte ich – |
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Es ging um Kohlen – eine Ueberschicht |
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Verfahren, was mir recht zuwider war. – |
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Mein Arbeitspunkt lag nah’ beim „Alten Mann“ *), |
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Ein öder, toter Bau, doch aufrecht noch |
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Und abgetrennt durch starken Holzverschlag. – |
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Die Kameraden sprachen mancherlei |
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Von dieser Oertlichkeit, doch Gutes nicht, |
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Und einer schwur, er habe was gehört |
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Im „Alten Mann“, das nicht natürlich sei. – |
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Ich war ein junger Bursch’ und glaubte nicht |
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An Spuk und Geisterei, dabei verliebt, |
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Zu jener Zeit, in meine jetz’ge Frau, |
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Und dachte wenig an den „Alten Mann“. – |
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Schon war zu Ende fast die halbe Schicht, |
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Und eins die Uhr – ich hatte eben noch |
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Danach geseh’n – als es auf einmal wie |
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Gedämpfter Zuruf mir im Ohre klang. – |
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Ich stutzte – doch da außer mir kein Mann |
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In dem Betriebe war, so glaubte ich |
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An Täuschung, die, wie jeder Bergmann weiß, |
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So leicht entsteht durch Wasser und durch Wind. – |
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Ich schrämte also ruhig weiter fort |
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Und dachte nur, wie ein Verliebter denkt, |
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An Annelies und unsern Hochzeitstag, |
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Der schon recht nah’ gerückt – und malte mir |
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Die Freude aus, wenn Annelies mein Weib. – |
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So dachte ich – da plötzlich wiederum |
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Drang Zuruf wie zuvor, doch heller schon, |
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Obwohl die Worte ich noch nicht verstand, |
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Und näher, nach dem Schalle, an mein Ohr. – |
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Nun kam mir doch die Angst – kein Licht, kein Laut, |
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Wie angestrengt ich auch mit Aug’ und Ohr |
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Rings forschte in dem nächtlichen Revier, |
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Den Rufer suchend in der Dunkelheit. – |
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Auch was die Kameraden sich erzählt |
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Vom „Alten Mann“, besonders jener Klaus, |
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Der nur erraten ließ, was er gehört, |
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Trat jetzt lebendig vor die Sinne mir – |
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Doch wehrte ich der Angst so gut es ging. – |
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Vielleicht brach irgendwo ein Pfeiler ein, |
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Der starke Luftzug dann, so sagt’ ich mir, |
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Sich zwingend durch’s Geklüft, gab diesen Ton, |
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Der mir wie Zuruf klang – gewiß, so war’s. – |
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Und wieder nahm die Keilhau ich zur Hand, |
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Doch kam’s zum Hiebe nicht: „Ist’s noch nicht Zeit?“ |
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Scholl’s deutlich durch die Nacht – mir sträubte sich |
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Das Haar zu Berg’ vor Grau’n – mit einem Satz, |
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Die Blende greifend, sprang ich weg vor Ort. – |
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Es war mein Rettungssprung, denn donnernd schlug |
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Ein Sarg, ein ungeheurer Kesselstein, |
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Jäh aus dem Hangenden, der mich zermalmt |
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Unfehlbar hätte ohne jenen Ruf. – |
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Wie ich zum Schacht kam, weiß ich selber nicht – |
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Mir schlotterten die Knie – doch kam ich hin. – |
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Ich meldete mich krank und war es auch, |
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Vom überstand’nen Schreck, und fuhr zu Tag. – |
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Von Grube „Franz“ bin ich dann abgekehrt, |
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Doch blieb ich Bergmann, habe aber nie, |
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Obwohl im Schacht ich war zu jeder Stund’, |
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Vernommen etwas noch seit jener Nacht. |
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So hat der alte Jörgen mir erzählt, |
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Ein Invalid’ mit silberweißem Haar, |
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Und so bericht’ ich’s euch – die Lösung fand |
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Nicht er noch ich – vielleicht kommt ihr darauf. – |
Details zum Gedicht „Der Warnruf“
Heinrich Kämpchen
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497
1909
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Der Warnruf“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Heinrich Kämpchen. Im Jahr 1847 wurde Kämpchen in Altendorf an der Ruhr geboren. 1909 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Bochum. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 497 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 69 Versen. Weitere Werke des Dichters Heinrich Kämpchen sind „Am Marienbrönnlein“, „Am Rhein“ und „Am Weinfelder Maar“. Zum Autor des Gedichtes „Der Warnruf“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 165 Gedichte vor.
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