Der Traum von Wilhelm Busch
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Ich schlief. Da hatt ich einen Traum. |
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Mein Ich verließ den Seelenraum. |
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Frei vom gemeinen Tagesleben, |
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Vermocht ich leicht dahinzuschweben. |
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So, angenehm mich fortbewegend, |
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Erreicht ich eine schöne Gegend. |
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Wohin ich schwebte, wuchs empor |
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Alsbald ein bunter Blumenflor, |
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Und lustig schwärmten um die Dolden |
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Viel tausend Falter, rot und golden. |
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Ganz nah auf einem Lilienstengel, |
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Einsam und sinnend, saß ein Engel, |
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Und weil das Land mir unbekannt, |
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Fragt ich: Wie nennt sich dieses Land? |
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Hier, sprach er, ändern sich die Dinge. |
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Du bist im Reich der Schmetterlinge. |
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Ich aber, wohlgemut und heiter, |
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Zog achtlos meines Weges weiter. |
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Da kam, wie ich so weiter glitt, |
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Ein Frauenbild und schwebte mit, |
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Als ein willkommenes Geleite, |
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Anmutig lächelnd mir zur Seite, |
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Und um sie nie mehr loszulassen, |
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Dacht ich die Holde zu umfassen; |
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Doch eh ich Zeit dazu gefunden, |
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Schlüpft sie hinweg und ist verschwunden. |
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Mir war so schwül. Ich mußte trinken. |
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Nicht fern sah ich ein Bächlein blinken. |
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Ich bückte mich hinab zum Wasser. |
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Gleich faßt ein Arm, ein kalter blasser, |
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Vom Grund herauf mich beim Genick. |
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Zwar zog ich eilig mich zurück, |
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Allein der Hals war steif und krumm, |
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Nur mühsam dreht ich ihn herum, |
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Und ach, wie war es rings umher |
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Auf einmal traurig, öd und leer. |
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Von Schmetterlingen nichts zu sehn, |
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Die Blumen, eben noch so schön, |
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Sämtlich verdorrt, zerknickt, verkrumpelt. |
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So bin ich seufzend fortgehumpelt, |
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Denn mit dem Fliegen, leicht und frei, |
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War es nun leider auch vorbei. |
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Urplötzlich springt aus einem Graben, |
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Begleitet vom Geschrei der Raben, |
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Mir eine Hexe auf den Nacken |
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Und spornt mich an mit ihren Hacken |
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Und macht sich schwer wie Bleigewichte |
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Und drückt und zwickt mich fast zunichte, |
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Bis daß ich matt und lendenlahm |
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Zu einem finstern Walde kam. |
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Ein Jägersmann, dürr von Gestalt, |
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Trat vor und rief ein dumpfes Halt. |
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Schon liegt ein Pfeil auf seinem Bogen, |
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Schon ist die Sehne straff gezogen. |
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Jetzt trifft er dich ins Herz, so dacht ich, |
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Und von dem Todesschreck erwacht ich |
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Und sprang vom Lager ungesäumt, |
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Sonst hätt ich wohl noch mehr geträumt. |
Details zum Gedicht „Der Traum“
Wilhelm Busch
14
58
339
nach 1848
Biedermeier,
Junges Deutschland & Vormärz,
Realismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Der Traum“ wurde von dem deutschen Dichter und Zeichner Wilhelm Busch verfasst, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte und arbeitete.
Auf den ersten Eindruck ist das Gedicht eine ausführliche und farbenfrohe Beschreibung eines Traumes, der sich zunächst idyllisch und angenehm entfaltet, aber zunehmend düstere und bedrohliche Züge annimmt.
In Bezug auf den Inhalt beschreibt das lyrische Ich einen Traum, in dem es seinen Körper verlässt und in eine schöne, blumenreiche Gegend gelangt. Es trifft einen Engel, der es darüber informiert, dass es sich im 'Reich der Schmetterlinge' befindet. Nach einem vergeblichen Versuch, ein schönes Frauenbild festzuhalten, ändert sich die Szenerie dramatisch. Alles wird traurig und leer, die Blumen sind verdorrt, das Fliegen vorbei. Eine Hexe quält das lyrische Ich, bis es auf einen dünnen Jäger trifft, der auf es zielt. Der nahende Pfeil weckt das lyrische Ich auf.
Das lyrische Ich scheint also eine Reise durch schöne, paradiesische aber auch beängstigende und bedrohliche Abschnitte des Unbewussten zu durchleben. Die abrupten Szenenwechsel könnten auf die wechselhaften, oft unvorhersehbaren und irrationalen Aspekte von Träumen hinweisen.
Das Gedicht hat eine ausgeprägte rhythmische Struktur und weist eine klare, aber dennoch ausdrucksstarke und bildliche Sprache auf. Die Methaphern und Vergleiche, die Busch verwendet, sind sehr anschaulich und ermöglichen es dem Leser, sich die Szenen des Traumes lebhaft vorzustellen. Man merkt dem Gedicht die feine Beobachtungsgabe und das Gespür fürs Detail an, welche Busch auch in seinen Zeichnungen auszeichnete.
Insgesamt ist „Der Traum“ ein eindrucksvolles Gedicht, das sowohl positive als auch negative Aspekte der menschlichen unbewussten Erfahrung darstellt und dabei auf die Unberechenbarkeit und die tieferen Schichten unserer Psyche hinweist.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Der Traum“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Wilhelm Busch. 1832 wurde Busch in Wiedensahl geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1848 bis 1908 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Wiesbaden u. Berlin. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz, Realismus, Naturalismus oder Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 339 Wörter. Es baut sich aus 14 Strophen auf und besteht aus 58 Versen. Der Dichter Wilhelm Busch ist auch der Autor für Gedichte wie „Ach, wie geht’s dem Heilgen Vater“, „Als Christus der Herr in Garten ging“ und „Als er noch krause Locken trug“. Zum Autor des Gedichtes „Der Traum“ haben wir auf abi-pur.de weitere 208 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Wilhelm Busch sind auf abi-pur.de 208 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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