Der Tower-Brand von Theodor Fontane
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Wenn’s im Tower Nacht geworden, wenn die Höfe leer und stumm, |
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Gehn die Geister der Erschlagnen in den Corridoren um, |
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Durch die Lüfte bebt Geflüster klagend dann, wie Herbsteswehn, |
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Mancher hat im Mondenschimmer schon die Schatten schreiten sehn. |
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Vor dem Zug, im Purpurmantel, silberweiß von Bart umwallt, |
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Schwebt des sechsten Heinrichs greise, gramverwitterte Gestalt, |
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Lady Gray dann, mit den Söhnen König Edwards an der Hand; – – |
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Leise rauscht der Anna Bulen langes seidenes Gewand. |
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Zahllos ist das Heer der Geister, das hinauf – hinunter schwebt, |
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Das da murmelt: „Fluch Dir Tower, dran das Blut der Unschuld klebt; |
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Schutt und Trümmer sollst Du werden!“ aber machtlos ist ihr Fluch, |
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Ehern hält den Bau zusammen böser Mächte Zauberspruch. |
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Wieder nachtet’s, wieder ziehn sie durch die Räume still und weit, |
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Plötzlich stockt der Zug und schaart sich um ein glimmend Tannenscheit, |
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Dann geschäftig, wie die Bienen, tragen Schnitzwerk sie herzu, |
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Und zur hellen Flamme schüren sie die matte Gluth im Nu. |
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Wie das prasselt, wie das flackert! einen sprühnden Feuerbrand |
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Nehmen sie zum nächtgen Umzug jetzt als Fackel in die Hand, |
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Weithin wird die Saat der Funken in den Zimmern ausgestreut, |
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Flammen sollen draus erwachsen; hei, der Fluch erfüllt sich heut! |
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Alles schläft; doch auf vom Lager springt im Nu der rasche Sturm, |
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Und er wirft sich in das Feuer, und das Feuer in den Thurm, |
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An des Towers Felsenwände peitscht er schon das Flammenmeer, |
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Und den Segen drüber sprechend, wogt auf ihm das Geisterheer. |
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Doch, als ob das Salz der Thränen feuerfest die Wände macht, |
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Wie wenn Blut der beste Mörtel, den ein Meister je erdacht, – |
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Seht, wie durstig auch die Flamme sich von Thurm zu Thurme wirft, |
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Hat sie doch, als wären's Becher, nur den Inhalt ausgeschlürft. |
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Wieder, wenn es Nacht geworden, wenn’s im Tower leer und stumm, |
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Gehn die Geister der Erschlagnen in den Corridoren um, |
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Durch die Lüfte bebt Geflüster klagend dann, wie Herbsteswehn, |
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Mancher wird im Mondenschimmer noch die Schatten schreiten sehn. |
Details zum Gedicht „Der Tower-Brand“
Theodor Fontane
8
32
325
1851
Realismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Der Tower-Brand“ wurde von Theodor Fontane verfasst, einem bedeutenden deutschen Schriftsteller des Realismus, der von 1819 bis 1898 lebte. Das Gedicht ist im Kontext des 19. Jahrhunderts zu betrachten, einer Zeit, in der das Interesse an Historie und Mystik groß war.
Beim ersten Durchlesen entsteht die düstere Atmosphäre eines Spukhauses. In einer mystischen und gruseligen Erzählung werden die Geister derer hervorgerufen, die im Tower of London, einem historischen Ort voller Tragödien, starben. Fontane lässt diese Geister, bekannt aus verschiedenen historischen Begebenheiten, durch die Korridore und Plätze des Turmes wandern und rächt sie symbolisch durch einen imaginären Brand.
Inhaltlich handelt das Gedicht von den von Geistern verursachten unheimlichen nächtlichen Ereignissen im Tower of London. Die Geister, darunter die von König Heinrich VI., Lady Gray, ihren Söhnen und Anne Boleyn, versuchen vergeblich, den Tower zu zerstören, als Strafe für die Unschuldigen, die darin umgekommen sind. Sie entzünden ein Feuer, das jedoch durch die rohe Macht der Architektur gescheitert. In der Schlusssequenz wiederholt sich das nächtliche Spukszenario, was auf das andauernde Trauma der tragischen Vergangenheit des Towers hinweist.
Die Form des Gedichtes ist eine klassische Strophenform mit je vier Versen pro Strophe. Dies verleiht der Erzählung einen gleichmäßigen Rhythmus, der zur gespenstischen Atmosphäre beiträgt. Die Sprache ist bildhaft und detailreich, mit einer Mischung aus historischen Anspielungen und zugleich unheimlichen und düsteren Beschreibungen.
Insgesamt ist „Der Tower-Brand“ ein Gedicht, das die schauerliche Atmosphäre und die historisch blutige Vergangenheit des Towers of London geschickt einfängt und ein packendes Bild von Vergeltung und Vergänglichkeit zeichnet. Die kraftvolle poetische Darstellung der Geister und ihrer vergeblichen Racheakte unterstreicht sowohl die tragische Geschichte des Towers als auch die Unvermeidlichkeit und Persistenz der Vergangenheit.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Der Tower-Brand“ ist Theodor Fontane. Der Autor Theodor Fontane wurde 1819 in Neuruppin geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1851. Berlin ist der Erscheinungsort des Textes. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Realismus zuordnen. Bei dem Schriftsteller Fontane handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 325 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 32 Versen. Die Gedichte „An meinem Fünfundsiebzigsten“, „Auf der Treppe von Sanssouci“ und „Ausgang“ sind weitere Werke des Autors Theodor Fontane. Zum Autor des Gedichtes „Der Tower-Brand“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 214 Gedichte vor.
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