Der Sänger von Johann Wolfgang von Goethe

Was hör’ ich draußen vor dem Thor,
Was auf der Brücke schallen?
Laß den Gesang vor unserm Ohr
Im Saale wiederhallen!
Der König sprach’s, der Page lief;
Der Knabe kam, der König rief:
Laßt mir herein den Alten!
 
Gegrüßet seyd mir, edle Herrn,
Gegrüßt ihr, schöne Damen!
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Welch reicher Himmel! Stern bei Stern!
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Wer kennet ihre Namen?
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Im Saal voll Pracht und Herrlichkeit
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Schließt, Augen, euch; hier ist nicht Zeit,
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Sich staunend zu ergetzen.
 
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Der Sänger drückt’ die Augen ein,
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Und schlug in vollen Tönen;
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Die Ritter schauten muthig drein,
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Und in den Schoos die Schönen.
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Der König, dem das Lied gefiel,
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Ließ, ihn zu ehren für sein Spiel,
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Eine goldne Kette reichen.
 
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Die goldne Kette gib mir nicht,
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Die Kette gib den Rittern,
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Vor deren kühnem Angesicht
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Der Feinde Lanzen splittern;
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Gib sie dem Kanzler, den du hast,
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Und laß ihn noch die goldne Last
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Zu andern Lasten tragen.
 
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Ich singe wie der Vogel singt,
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Der in den Zweigen wohnet;
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Das Lied, das aus der Kehle dringt,
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Ist Lohn, der reichlich lohnet.
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Doch darf ich bitten, bitt’ ich eins:
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Laß mir den besten Becher Weins
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In purem Golde reichen.
 
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Er setzt’ ihn an, er trank ihn aus:
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O Trank voll süßer Labe!
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O wohl dem hochbeglückten Haus,
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Wo das ist kleine Gabe!
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Ergeht’s euch wohl, so denkt an mich,
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Und danket Gott so warm, als ich
42 
Für diesen Trunk euch danke.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.7 KB)

Details zum Gedicht „Der Sänger“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
42
Anzahl Wörter
234
Entstehungsjahr
1827
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Sänger“ wurde von Johann Wolfgang von Goethe verfasst, einem der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen Literatur, geboren im Jahr 1749 und verstorben 1832. Goethe zählt zu den Hauptvertretern der Weimarer Klassik, das Gedicht „Der Sänger“ kann demzufolge dieser Epoche zugeordnet werden.

Auf den ersten Blick entfaltet das Gedicht eine mittelalterliche Szene, in der ein Sänger von einem König und seinem Hof begrüßt und belohnt wird. Goethes Sprache ist eindrucksvoll bildhaft und erzeugt wirkungsvoll eine hochherrschaftliche und festliche Atmosphäre.

Inhaltlich erzählt das lyrische Ich, der Sänger, wie er vor einem Königshof auftritt. Er wird hereingebeten, um seinen Gesang darzubieten. Nach seinem Auftritt bietet ihm der König, beeindruckt von seiner Darbietung, eine goldene Kette als Belohnung an. Aber der Sänger lehnt ab und gibt zu verstehen, dass er nur singt, weil es ihm Freude bereitet - ähnlich wie ein Vogel, der in den Zweigen wohnt und singt. Statt der kostbaren Kette bittet er um einen Becher Wein, den er als ausreichende Belohnung betrachtet. Am Ende dankt er für den reichen Trank und geht wieder.

Durch seine Worte zeigt der Sänger einerseits eine gewisse Bescheidenheit, da er keine materielle Belohnung für seine Darbietung erwartet. Andererseits drückt er auch einen gewissen Stolz aus, da er seinen Gesang als gleichwertig zu den Leistungen der Ritter und des Kanzlers betrachtet. Er singt aus Leidenschaft und nicht für Belohnungen.

Formal sind alle Strophen und Verse gleich aufgebaut. Jede der sechs Strophen besteht aus sieben Versen. Der strukturierte Aufbau unterstützt die erzählerische Qualität des Gedichts und erleichtert es dem Leser, der Handlung zu folgen.

Die Sprache des Gedichts ist klar und unprätentiös, mit einer gewissen formalen Strenge, die die mittelalterliche Umgebung widerspiegelt. Goethes Verwendung von Metaphern und Vergleichen, wie z.B. der Vergleich des Singens mit dem Singen eines Vogels, betont die Natürlichkeit und Ungekünsteltheit der Kunst und des Künstlers.

Zusammengefasst beschreibt „Der Sänger“ eine Szene, in der ein Künstler - vertreten durch das lyrische Ich, den Sänger - seine Kunst zum Ausdruck bringt und den wahren Wert seiner Arbeit erkennt: Nicht in materiellen Gütern, sondern in der Freude und der Leidenschaft für seine Tätigkeit.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Der Sänger“ ist Johann Wolfgang von Goethe. Goethe wurde im Jahr 1749 in Frankfurt am Main geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1827 entstanden. Stuttgart und Tübingen ist der Erscheinungsort des Textes. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Goethe ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang (häufig auch Geniezeit oder Genieperiode genannt) ist eine literarische Epoche, welche zwischen 1765 und 1790 existierte und an die Empfindsamkeit anknüpfte. Später ging sie in die Klassik über. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das literarische und philosophische Denken im deutschen Sprachraum. Der Sturm und Drang „stürmte“ und „drängte“ als Jugend- und Protestbewegung gegen die aufklärerischen Ideale. Ein wesentliches Merkmal des Sturm und Drang ist somit ein Auflehnen gegen die Epoche der Aufklärung. Die Vertreter der Epoche des Sturm und Drang waren häufig Schriftsteller im jungen Alter, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. Die Schriftsteller versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die traditionellen Werke vorheriger Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Dennoch wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Mit dem Hinwenden Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.

Zwei gegensätzliche Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert bewegt: die Aufklärung und eine gefühlsbetonte Strömung, die durch den Sturm und Drang vertreten wurde. Die Weimarer Klassik ist im Grund genommen eine Verschmelzung dieser beiden Elemente. Die Weimarer Klassik nahm ihren Anfang mit der Italienreise Goethes im Jahr 1786 und endete mit dem Tod von Johann Wolfgang von Goethe im Jahr 1832. Wie der Name bereits verrät, liegen das literarische Zentrum und der Ausgangspunkt der Weimarer Klassik, die auch kurz Klassik genannt wird, in Weimar. Zum Teil wird auch Jena als ein weiteres Zentrum dieser Literaturepoche angesehen. Menschlichkeit, Toleranz und Übereinstimmung von Natur und Mensch, von Individuum und Gesellschaft sind die Ideale der Klassik. Im Zentrum des klassischen Kunstkonzepts steht das Streben nach harmonischem Ausgleich der Gegensätze. Charakteristisch ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Gefühl und Vernunft. Die Dichter haben in der Weimarer Klassik auf Stil- und Gestaltungsmittel aus der Antike zurückgegriffen. Die wichtigsten Schriftsteller der Weimarer Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Weitere Schriftsteller der Weimarer Klassik sind Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Die beiden letztgenannten arbeiteten aber jeweils für sich. Einen produktiven Austausch im Sinne eines gemeinsamen Arbeitsverhältnisses gab es nur zwischen Goethe und Schiller.

Das 234 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 42 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Der Dichter Johann Wolfgang von Goethe ist auch der Autor für Gedichte wie „An den Selbstherscher“, „An die Entfernte“ und „An die Günstigen“. Zum Autor des Gedichtes „Der Sänger“ haben wir auf abi-pur.de weitere 1618 Gedichte veröffentlicht.

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