Blindes Menschenkind von Ernst Moritz Arndt

O krankes, blindes Menschenkind,
Wie wehet dich des Tages Wind
Ein steuerloses Schiff im Meer
Auf wilden Wogen hin und her!
 
Vom bunten Schein, der immer log,
Verlockt, du wähnst dich himmelhoch
Und weißt mit aller Kunst und List
Doch nimmer, was und wo du bist.
 
O sei, o werde wieder dein!
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Und gleich wird dir gesunder sein;
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O kehre bei dir selbst doch ein!
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Da leuchtet dir der rechte Schein.
 
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Den Schlüssel nimm der linken Brust;
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Da liegt dein Schatz von Mut und Lust,
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Da schließt dein Glück sich auf und zu:
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Das ist dein Selbst, ja das bist du.
 
17 
Da tief geheim liegt der Magnet,
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Der ewig unverrücklich steht,
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Der Hauch, gehaucht vom höchsten Geist,
20 
Der ewig hin zum Himmel weist.
 
21 
Das ist dein Evangelienbuch,
22 
Das spricht zu dir wie Gottes Spruch,
23 
Dein Angeld auf Unsterblichkeit,
24 
Anweisung auf die Ewigkeit.
 
25 
Das ist der Gottesstrahl und Blitz,
26 
Zermalmend Trug und Lügenblitz,
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Der Freudenschein und Schreckenschein,
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Der zündend schlägt durch Mark und Bein.
 
29 
Wo diese heil'ge Flamme brennt,
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Da brennt das Licht, das Gott erkennt,
31 
Die Heldenkraft, die Männerkraft,
32 
Die Welten denkt und Welten schafft.
 
33 
Da bete an, da kniee hin,
34 
Da stähle frisch dir Herz und Sinn
35 
Und schau' und sieh, ob dein Magnet
36 
Zu seinem Nordpol richtig steht.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Blindes Menschenkind“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
210
Entstehungsjahr
1856
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht ist von Ernst Moritz Arndt, einem deutschen Schriftsteller und Abgeordneten der Paulskirchenversammlung, der von 1769 bis 1860 lebte. Arndt ist bekannt für seine patriotischen und freiheitsliebenden Werke, die während der Napoleonischen Kriege und der darauf folgenden Befreiungskriege in Deutschland entstanden.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht „Blindes Menschenkind“ wie eine eher dunkle und melancholische Betrachtung des menschlichen Zustands. Es hat einen starken moralischen und philosophischen Unterton, der den Leser dazu auffordert, innere Wahrheit und Authentizität über äußeren Schein und Täuschung zu schätzen.

Im Gedicht ist das lyrische Ich ein Beobachter des menschlichen Zustands und zeigt Mitleid und Frustration gegenüber der Blindheit und Täuschung, die es in Menschen sieht. Es vergleicht die Verwirrung und Orientierungslosigkeit des Menschen mit der eines steuerlosen Schiffes im Meer, hin- und hergeworfen von den Wellen. Diese Wellen könnten als Metapher für die ständig wechselnden und unvorhersehbaren Bedingungen des Lebens gesehen werden.

Das lyrische Ich ruft metaphorisch dazu auf, zu sich selbst zurückzukehren und wahrhaftig zu sein. Es drückt aus, dass wahres Glück und Erfüllung gefunden werden können, indem man sich auf seine innere Wahrheit und sein wahres Selbst stützt, als wäre es ein unverrückbarer Magnet, der immer in die richtige Richtung zeigt.

In Bezug auf Form und Sprache verwendet Arndt einen klaren, unkomplizierten Stil mit wenig verziertem Vokabular. Das Gedicht hat eine streng geregelte Form, jede Strophe hat vier Verse. Es gibt einen endkonsonanten Reim, der dem Gedicht einen rhythmischen, liedähnlichen Fluss verleiht. Insgesamt ist der Ton des Gedichts ernst und direkt, mit einer starken moralischen Aufforderung.

Arndts Gedicht „Blindes Menschenkind“ ist also eine Aufforderung an die Menschheit, selbstreflektierend zu sein, sich selbst treu zu bleiben und sich nicht von äußeren Täuschungen und Sinnestäuschungen ablenken zu lassen. Für Arndt liegt die Wahrheit und der Schlüssel zum Glück in der Selbstkenntnis und inneren Überzeugung. Diese Botschaft ist in seinen anderen Werken ebenso präsent und kennzeichnet seinen Beitrag zur Literatur der deutschen Romantik und des Biedermeier.

Weitere Informationen

Ernst Moritz Arndt ist der Autor des Gedichtes „Blindes Menschenkind“. Im Jahr 1769 wurde Arndt in Groß Schoritz (Rügen) geboren. Im Jahr 1856 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das Gedicht besteht aus 36 Versen mit insgesamt 9 Strophen und umfasst dabei 210 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Ernst Moritz Arndt sind „Laßt wehen, was nur wehen kann“, „Ballade“ und „Die Zaunranke und der Klee“. Zum Autor des Gedichtes „Blindes Menschenkind“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 285 Gedichte vor.

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