Der Storch von Johann Peter Hebel

Willkumm Her Storch! bisch au scho do,
und schmecksch im Weiher d’ Frösche scho?
Und meinsch der Winter heig si Sach,
und ’s besser Wetter chömm alsgmach?
 
He jo, der Schnee gieng überal;
me meint, es werd scho grün im Thal.
Der Himmel isch so rein und blau,
und ’s weiht ein a so mild und lau. —
 
Nei loset, wiener welsche cha!
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Verstoht men au ne Wörtli dra?
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Drum chunnt er über Strom und Meer
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us wite fremde Ländere her.
 
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Was bringsch denn Neu’s us Afrika?
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Sie hen gwis au so Umständ gha,
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und d’ Büchse gspannt, und d’ Säbel g’wezt,
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und Freiheits-Bäum vor d’ Chilche gsezt?
 
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De hesch so rothi Strümpfli a.
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Isch öbbe Blut vom Schlachtfeld dra?
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Wo hesch die schwarze Fegge gno?
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Bisch öbbe z’nooch an d’Flamme cho?
 
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Um das hättsch über Land und Meer
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nit reise dörfe hi und her
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vom Rhi-Strom bis in Afrika;
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de hättschs jo in der Nööchi g’ha.
 
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Mer wüsse leider au dervo,
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und mengi Wunde blutet no,
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und ’s drukt no menge Chummer schwer,
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und menge schöne Trog isch leer.
 
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Und witer an den Alpe hi
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ischs, Gott erbarms, no ärger gsi,
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und Weh und Ach het usem Wald
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und us de Berge widerhallt.
 
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Ans Wilhelm Telle Freiheits-Hut
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hangt menge Tropfe Schwitzerblut.
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Wie hets nit ummen blitzt und g’chracht,
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und dunderet in der Wetter-Nacht!
 
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Doch öbben in der Wetter-Nacht
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het Gottis Engel au no gwacht —
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Was peppersch? Wer verstöhn di nit!
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Schwetz dürli, wenn de rede witt!
 
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Gang, hol ein ’s Becke Chasperli!
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Er isch e Rung im Welschland gsi;
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er het emol go Vivis gschmeckt,
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und wie der Storch si Schnabel g’strekt.
 
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Und welsche chaner, ’s isch e Gruns;
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es blibt ke Wentelen im Hus,
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und ’s Glas stoht au de Fenstern ab;
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wer weiß, verstoht er Chlip und Chlap!
 
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Zwor würd’ er anderi Gschäfte ha;
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er martschet näume, wenn er cha.
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„Jez Chrütz im Baum, und Sakertie!
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„ne Mos verspielt! Potz Mundie!“ —
 
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’s isch gnug, Her Storch! Mer wüsse’s scho,
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und was de seisch, mer glaube’s io!
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Es freut die au, aß ’s Dorf no stoht,
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und alles gsund isch — dank der Gott!
 
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’s isch au nit alles grad und recht,
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und ’s Nochbers Chind isch fölli schlecht;
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mi Gschwey het hinecht bynem gwacht,
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’s het Gichter gha die ganzi Nacht.
 
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Sust möchts, Gottlob, so ziemli go,
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und ’s Feld-Picket isch nümme do;
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wo Lager gsi sin Zelt an Zelt,
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goht iez der Pflug im Ackerfeld.
 
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Und der, wo d’ Storche heißet cho,
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und d’Rabe nährt, isch au no do;
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er schafft den Arme Brod ins Hus,
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und heilt die alte Presten us.
 
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Und wo me luegt, und luege cha,
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se lächlet ein der Frieden a,
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wie Morgeliecht, wenn d'Nacht vergoht,
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und d' Sunne hinter de Tanne stoht.
 
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Gang lueg e wenig d’ Gegnig a!
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I glaub, de wirsch e Gfalle ha.
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Mi Matten isch der wol bikannt,
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am Brunnen abe linker Hand.
 
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Und trifsch am Bach e Fröschli a,
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sen ischs der gunnt. Verstick nit dra!
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Und, was i bitt, loß d’Imme goh!
80 
Mi Große seit, sie fliege scho.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.4 KB)

Details zum Gedicht „Der Storch“

Anzahl Strophen
20
Anzahl Verse
80
Anzahl Wörter
522
Entstehungsjahr
1803
Epoche
Klassik,
Romantik

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht stammt von Johann Peter Hebel, einem im 18. und 19. Jahrhundert lebenden deutschen Schriftsteller. Es trägt den Titel „Der Storch“ und wurde in Hebel's alemannischer Mundart verfasst. Der erste Eindruck des Gedichts ist erfrischend und vielleicht ein wenig verwirrend für diejenigen, die nicht an den alemannischen Dialekt gewöhnt sind. Man kann jedoch feststellen, dass es eine freundschaftliche Atmosphäre erzeugt und eine Art Konversation mit einer Storchenfigur darstellt.

Inhaltlich befasst sich das Gedicht mit der Ankunft des Storches, der anscheinend gerade aus Afrika zurückgekehrt ist. Das lyrische Ich fragt den Storch nach seinem Wohlbefinden, nach Neuigkeiten aus Afrika, und ob er Zeuge von Krieg und Aufruhr war. Daraus ergibt sich eine umfassende Metapher, bei der der Storch als Bote verstanden wird, der die Ferne und die Heimat miteinander verbindet. Es kommen Bezüge zu Themen wie Krieg, Frieden und Heimatliebe zum Vorschein.

Formal besteht das Gedicht aus 20 Vierzeilern, die rigoros dem Muster von Alternierenden Reimen folgen. Die Sprache ist sehr volkstümlich und direkt, was das Gedicht zugänglich macht und einen sehr freundlichen, familiären Ton vermittelt.

Schließlich scheint das lyrische Ich den Storch nicht nur als Boten, sondern auch als ein Symbol für den Frühling und den Beginn eines neuen Zyklus zu begrüßen. Trotz der angesprochenen Schwierigkeiten und Konflikte gibt es Hoffnung und Dankbarkeit in den Worten des lyrischen Ichs, was uns daran erinnert, dass, ungeachtet der Unruhen und der Kämpfe, das Leben weitergeht und es immer wieder einen neuen Anfang gibt. So verwebt das Gedicht auf geschickte Weise persönliche, lokale und universelle Themen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der Storch“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Peter Hebel. Der Autor Johann Peter Hebel wurde 1760 in Basel geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1803 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Karlsruhe. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Klassik oder Romantik zuordnen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das 522 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 80 Versen mit insgesamt 20 Strophen. Weitere Werke des Dichters Johann Peter Hebel sind „Der Bettler“, „Der Karfunkel“ und „Der Knabe im Erdbeerschlag“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Storch“ weitere 60 Gedichte vor.

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