Alte Winkelmauer von Joachim Ringelnatz
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Alte Mauer, die ich oft benässe, |
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Weil’s dort dunkel ist. |
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Himmlisches Gefunkel ist |
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In deiner Blässe. |
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Pilz und Feuchtigkeiten |
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Und der Wetterschliff der Zeiten |
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Gaben deiner Haut |
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Wogende Gesichter, |
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Die nur ein Dichter |
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Oder ein Künstler |
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Oder Nureiner schaut. |
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„Können wir uns wehren?“ |
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Fragt’s aus dir mild. |
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Ach, kein Buch, kein Bild |
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Wird mich so belehren. |
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Was ich an dir schaute, |
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Etwas davon blieb |
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Immer. Nie vertraute |
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Mauer, dich hab’ ich lieb. |
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Weil du gar nicht predigst. |
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Weil du nichts erledigst. |
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Weil du gar nicht willst sein. |
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Weil mir deine Flecken |
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Ahnungen erwecken. |
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Du, eines Schattens Schein. |
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Nichts davon wissen |
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Die, die sonst hier pissen, |
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Doch mir winkt es: Komm! |
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Seit ich dich gefunden, |
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Macht mich für Sekunden |
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Meine Notdurft an dir fromm. |
Details zum Gedicht „Alte Winkelmauer“
Joachim Ringelnatz
6
31
125
1928
Moderne,
Expressionismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Alte Winkelmauer“ stammt von Joachim Ringelnatz, einem deutschen Schriftsteller und Kabarettisten, der von 1883 bis 1934 lebte. Ringelnatz gehört zur Epoche der Neuen Sachlichkeit, die sich durch eine nüchterne, realistische Darstellung des Alltags auszeichnet.
Beim ersten Lesen des Gedichts fällt besonders die ungewöhnliche, fast liebevolle Darstellung einer alte Mauer auf. Sie wird personifiziert, indem das lyrische Ich ihr konkrete Eigenschaften und Handlungen zuschreibt.
Das Gedicht handelt von der Beziehung des lyrischen Ichs zu einer alten Mauer. Die Mauer wird nicht nur als konkrete, greifbare Architektur wahrgenommen, sondern auch als ein Symbol für Beständigkeit und Wandel sowie für Erinnerung und Vergänglichkeit.
Das lyrische Ich drückt durch die Worte aus, dass es die Mauer schätzt, weil sie „nicht predigt“ und „nicht erledigt“. Dies deutet darauf hin, dass das lyrische Ich die Stille und die Beständigkeit der Mauer schätzt, die sich in starkem Kontrast zum ständigen Wandel und der Hektik des Alltags befinden. Es sucht in der Mauer Trost und Ruhe, ein Ort der Stille und Kontemplation, ein Gegenpol zur schnelllebigen, oft oberflächlichen Welt.
Formal besteht das Gedicht aus sechs Strophen unterschiedlicher Länge mit teilweise gereimten und teilweise freien Versen. Die Sprache ist schlicht und alltäglich, was der nüchternen Sachlichkeit entspricht, die typisch für Ringelnatz ist. Die Besonderheit des Gedichts liegt in der Bildsprache und in der Verwendung von Kontrasten: Der Alterungsprozess der Mauer wird als schöpferischer Prozess dargestellt, dessen Produkt die „wogenden Gesichter“ sind, die nur das lyrische Ich zu erkennen vermag.
Abschließend lässt sich sagen, dass „Alte Winkelmauer“ ein stilles, nachdenkliches Gedicht ist, dass den Alltag in ein neues Licht rückt und den Leser dazu anregt, das Gewöhnliche mit anderen Augen zu sehen.
Weitere Informationen
Joachim Ringelnatz ist der Autor des Gedichtes „Alte Winkelmauer“. Geboren wurde Ringelnatz im Jahr 1883 in Wurzen. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1928. Der Erscheinungsort ist Berlin. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Moderne oder Expressionismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Ringelnatz handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das Gedicht besteht aus 31 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 125 Worte. Joachim Ringelnatz ist auch der Autor für Gedichte wie „Afrikanisches Duell“, „Alone“ und „Alter Mann spricht junges Mädchen an“. Zum Autor des Gedichtes „Alte Winkelmauer“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 560 Gedichte vor.
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