Der Sperling von Christian Felix Weiße

An einem heitern Frühlingsmorgen
Trat Doris früh erwacht ans offne Fenster hin;
Allein ihr alter Geck Crispin,
Schnarcht noch empfindungslos, und träumet güldne Sorgen.
 
Sie fühlet halb des Morgens Freuden,
Jedoch nur halb – – indem sah sie in süßer Müh
Den Spatz bey seiner muntern Sie,
Sie liebten sich so oft, man mußte sie beneiden.
 
Auch weis ich nicht, was Chloen fehlte:
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Sie ward bestürzt, ganz roth, fing laut zu seufzen an;
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Sah bald ins Feld, bald nach dem Mann,
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Der noch im Traum sein Geld und Wechsel überzählte.
 
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Zuletzt stört sie mit heißen Küssen
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Und süßem Ungestüm ihn in der Träume Lauf,
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Er springt bestürzt vom Lager auf,
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Und schreyt: wo ist der Dieb, der mir mein Gut entrissen?
 
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Sie zieht ihn mit beredten Schweigen
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Ans Fenster hin, und seufzt: ach Männchen, glaubest du,
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(Schon seh ich eine Stunde zu,)
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Seit diese Vögelchen sich so verliebt bezeigen.
 
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Für Bosheit fängt er an zu beben,
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Sperrt weit die Augen auf, und schreyt erstaunungsvoll:
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„Wie? sag mir, Närrin, bist du toll?
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Bleibst du in Ewigkeit an Kinderpossen kleben?“
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.9 KB)

Details zum Gedicht „Der Sperling“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
176
Entstehungsjahr
1758
Epoche
Aufklärung

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Sperling“ wurde von Christian Felix Weiße verfasst, einem deutschen Schriftsteller und Pädagogen des Spätbarock und der Aufklärung. Weiße lebte von 1726 bis 1804, was uns eine zeitliche Einordnung des Gedichts ermöglicht. Es ist wahrscheinlich, dass das Gedicht im 18. Jahrhundert entstand.

Beim ersten Lesen des Gedichts fällt die sorgfältige Beobachtung und Darstellung des Alltagslebens im Kontext der Natur auf. Die Geschichte, die das Gedicht erzählt, scheint auf den ersten Blick einfach in die alltäglich Realität eingebettet, zeigt jedoch tiefe Emotionen und soziale Kontexte.

Inhaltlich erzählt das Gedicht eine Geschichte von Doris, die früh morgens aufwacht und aus dem Fenster einen Sperling und dessen Partner beobachtet, während ihr Mann, Crispin, noch schläft. Doris wird durch die Beobachtung der Vögel, die sich liebevoll miteinander verhalten, emotional berührt. Schließlich weckt sie ihren Mann mit heftigen Küssen, der bestürzt aufwacht und glaubt, bestohlen worden zu sein. Doris führt ihn zum Fenster und zeigt ihm die Vögel, doch seine Reaktion ist Unverständnis und Ablehnung gegenüber ihrer emotionalen Reaktion.

Im Gedicht zeigt das lyrische Ich seine Frustration und Unzufriedenheit darüber, dass das menschliche Verhalten so stark von materiellen Dingen bestimmt wird. Die natürliche, wahre Liebe, wie sie zwischen den Vögeln zu sehen ist, wird von vielen Menschen nicht gewürdigt oder sogar verkannt, wie das Verhalten von Crispin verdeutlicht.

Im formalen und sprachlichen Analysieren bemerkt man, dass das Gedicht in Sechsstrophen gegliedert ist, mit jeweils vier Versen pro Strophe. Die Sprache ist klar und leicht zu verstehen, mit einer reichen Verwendung von Metaphern und lebendigen Bildern. Es ist bemerkenswert, dass der Autor mittels des Vergleichs zwischen den Vögeln und den Menschen, eine Kritik am materialistischen Verhalten der Menschen formuliert.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Weiße in diesem Gedicht die Schlaftrunkenheit des Menschen gegenüber den einfachen und natürlichen Freuden des Lebens allegorisch darstellt. Dabei kontrastiert er die reinen und natürlichen Emotionen der Vögel mit der Unfähigkeit der Menschen, diese Werte zu erkennen, zu schätzen und zu leben.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Der Sperling“ des Autors Christian Felix Weiße. Im Jahr 1726 wurde Weiße in Annaberg geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1758 entstanden. Leipzig ist der Erscheinungsort des Textes. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Aufklärung zuordnen. Bei dem Schriftsteller Weiße handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 176 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 24 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Christian Felix Weiße sind „An einen Bach im Winter“, „Befehl an Zephyr“ und „Cephalus und Aurore“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Sperling“ weitere 100 Gedichte vor.

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