Der Seriöse von Joachim Ringelnatz

Wo ich abends Weißwürste fresse,
da sitzt oft drei Tische weit
Vor mir ein Herr von Noblesse,
Sehr groß, sehr ernst und sehr breit.
 
Sein Haar und Bart, seine Kleidung
Sind einwandfrei und gepflegt,
Wie er unter steter Vermeidung
Sich einwandfrei sicher bewegt.
 
Wie ihn die Kellner bedienen,
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Ist er ein Fürst oder reich.
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Doch bleibt das Spiel seiner Mienen
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Jederzeit würdig und gleich.
 
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Wenn diese würdig seriöse
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Erscheinung vorübergeht,
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Dann ist mir, als ob mein Gekröse
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In Hirn und Leib sich verdreht.
 
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Denn, wenn er mit seinen Blicken
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Mich streifte – das fühle ich klar –,
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Ich würde zusammenknicken
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Und nimmer sein, was ich war.
 
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Doch ohne seitwärts zu schauen,
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Schreitet er durchs Lokal.
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Seine gerunzelten Brauen –
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Wie alles an ihm – sind aus Stahl.
 
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Und seine Schritte lenken
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Sich dahin, wohin man nicht sieht.
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Ich wage nicht auszudenken,
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Was er dort etwa vollzieht.
 
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Ach, ich bin klein, ich bin böse.
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Mein Herz ist auch nicht ganz rein.
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Ach dürfte ich solche seriöse
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Persönlichkeit einmal sein!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26 KB)

Details zum Gedicht „Der Seriöse“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
164
Entstehungsjahr
1928
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Seriöse“ wurde von Joachim Ringelnatz verfasst, einem deutschen Schriftsteller und Kabarettist, der von 1883 bis 1934 lebte. Daher kann man das Gedicht in den Kontext der Weimarer Republik einordnen.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht distanziert, gespickt mit Beobachtungen und Reflektionen des lyrischen Ichs über eine andere Figur, den „seriösen“ Herrn.

Inhaltlich geht es um die Beobachtungen und Empfindungen des lyrischen Ichs in Bezug auf den im Gedichttitel genannten „seriösen“ Herrn, der in einer Weinstube ob seiner aristokratischen Erscheinung, gepflegten Haaren, Bart und Kleidung und seinem würdigen, stets gleichbleibenden Gesichtsausdruck auffällt. Dieser Herr wirkt auf das lyrische Ich so beeindruckend, dass er sich unter dessen Blick klein und unzulänglich fühlt. Die Präsenz des Herrn führt bei dem lyrischen Ich zu einer körperlichen Reaktion - sein Inneres verdreht sich.

Die Kernaussagen sind hierbei die Beschreibungen des Herrn, die ein Bild von Perfektion und Souveränität zeichnen, sowie das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit und des Wunsches, diese Perfektion erreichen zu können, das das lyrische Ich ausdrückt.

Die Form des Gedichts besteht aus acht in sich geschlossenen Vierzeilern, die jeweils eigene Gedanken und Bilder behandeln. Die Kontinuität in Bezug auf die Beschreibung und Wahrnehmung der „seriösen“ Person bleibt dabei erhalten. Die Sprache und Wortwahl sind klar und unverblümt. Es werden einfache, aber bildhaft suggestive Begriffe und Umschreibungen verwendet - „Mein Gekröse verdreht sich“, „ein Herr von Noblesse“. Es existiert ein regelmäßiger Reim, was die Leseerfahrung flüssig und melodisch gestaltet.

Zusammenfassend erzählt das Gedicht von der Sehnsucht des lyrischen Ichs, „seriös“ zu sein, und verdeutlicht auf subtile Weise die Unterschiede zwischen gesellschaftlichen Klassen und die damit verbundenen innere Konflikte und Wünsche. Es zeigt die Bewunderung für die Persönlichkeit des unbekannten Herrn und dessen scheinbare Perfektion, gleichzeitig aber auch die Selbstwahrnehmung des eigenen Fehlens.

Weitere Informationen

Joachim Ringelnatz ist der Autor des Gedichtes „Der Seriöse“. Geboren wurde Ringelnatz im Jahr 1883 in Wurzen. Das Gedicht ist im Jahr 1928 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Berlin. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Moderne oder Expressionismus zuordnen. Ringelnatz ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen. Das vorliegende Gedicht umfasst 164 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 32 Versen. Weitere Werke des Dichters Joachim Ringelnatz sind „7. August 1929“, „Abendgebet einer erkälteten Negerin“ und „Abermals in Zwickau“. Zum Autor des Gedichtes „Der Seriöse“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 560 Gedichte vor.

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