Der Schutzengel von Johanna Baltz
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Das Wasser plaudert mit vielfüßem Laut, |
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Als säng' die Mutter kosend Wiegenlieder, |
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Wildröslein nickt vom Strauch so lieb und traut, |
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Vom Wegesrand die Glockenblume schaut |
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Und schaukelt sich im Winde hin und wieder. |
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Es ist so still; schweigsame Einsamkeit |
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Umfängt den Wald mit lindem Zauberbanne, |
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Als stände plötzlich still die flücht'ge Zeit. |
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Kein Lied, kein Vogelzwitschern weit und breit |
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Kein Zweiglein reget sich an Eich' und Tanne. |
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Das Wasser nur, es wimmelt leise fort, |
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Es lockt und lockt - die blauen Blumen nicken, |
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Als winkten sie dem zarten Bübchen dort, |
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Das hört im Wellensang der Mutter Wort, |
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Blaublümchen schaut es an mit ihren Blicken. |
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Und eilig folgt es, trippelt schnell herbei, |
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Streckt jauchzend aus die kleinen, weichen Hände |
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Nach all' den Blumen bunt und mancherlei |
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Der Weg ist schmal - ein Fall - ein lauter Schrei |
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O armes Mutterherz, dein Glück zu Ende! |
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Doch nein - es strahlt herein wie Sternenlicht, |
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Auf weißen Flügeln kommt es hergeflogen! |
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Schutzengel naht, und liebevoll er spricht: |
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?Getrost, du süßes Kind, ich laß dich nicht! |
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Ich rette dich vom Tode in den Wogen! |
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?Komm' reich' die kleine, liebe Hand mir her! |
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Die Blumen willst du für die Mutter pflücken? |
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So nimm! Hier Rosen, dort von Tropfen schwer. |
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Ein Weidenzweig. Ei, Schelm, noch immer mehr?! |
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Du lachst! O welche Lust, dich zu beglücken! |
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?Du süßes Kind, wie innig lieb' ich dich!" |
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Er neigt sein Angesicht voll Himmelsmilde. |
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Der Mutter Treu', - die Treu', die ewiglich |
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Dort oben für uns wacht - sie einen sich |
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In diesem wunderholden Engelsbilde. |
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Und als nach schwülem, fieberheißem Traum |
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Die Mutter naht voll Todesangst und Beben: |
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In Blumen ruht das Kind beim Weidenbaum! |
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Sie aber sieht im klaren Ätherraum |
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Ein Silberwölkchen auf zum Himmel schweben. |
Details zum Gedicht „Der Schutzengel“
Johanna Baltz
8
40
285
1849 - 1918
Realismus,
Naturalismus,
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Der Schutzengel“ wurde von Johanna Baltz geschrieben, eine deutsche Autorin des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
Auf den ersten Blick scheint das Gedicht eine beruhigende und positive Atmosphäre auszustrahlen. Es vermittelt eine idyllische Natur- und Mutter-Kind-Szenerie, die zunächst aber in eine scheinbare Tragödie mündet und dann in eine überraschende Wende.
Der Inhalt des Gedichts berichtet von einer friedlichen Naturidylle, die durch ein aufregendes Ereignis gestört wird. Ein kleines Kind spielt am Rand eines Gewässers und fällt hinein. Die Mutter, die zunächst abwesend ist, trauert um den Verlust ihres Kindes. Dieses wird aber durch einen Schutzengel gerettet, der ätherisch und liebevoll dargestellt wird. Der Schutzengel überreicht dem Kind Blumen und am Ende wird die Mutter, die in Furcht und Trauer versunken war, mit dem Wiedersehen ihrem Kind im Blumenfeld überrascht.
Das lyrische Ich scheint hierbei die Rolle des allwissenden Erzählers einzunehmen, der das Geschehen aus der Distanz beobachtet und beschreibt. Dabei wird besonders auf die Liebe der Mutter, die Unschuld des Kindes und die himmlische Autorität des Schutzengels hingewiesen.
Formal hat das Gedicht eine recht strenge Struktur mit achtmal fünf Versen. Die Strophen sind einheitlich strukturiert, was dem Gedicht einen ruhigen, gleichmäßigen Rhythmus verleiht. Die Sprache von Baltz ist relativ einfach und verständlich, aber ebenso bildreich und emotional. Es werden viele Naturmetaphern und Personalisierungen verwendet, um eine detaillierte Stimmungslage zu schaffen.
Insgesamt ist das Gedicht eine Darstellung von Gefahr und Erlösung und betont die elterliche Zuneigung und göttliche Fürsorge. Es verkörpert das idealisierte Bild einer fürsorglichen Mutter, eines engelhaften Kindes und eines liebevollen Gottes. Es zeigt auch die Dominanz des Glaubens in der Gesellschaft dieser Zeit und den Wunsch nach Trost und Schutz in Zeiten der Angst und Unsicherheit.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Der Schutzengel“ stammt aus der Feder der Autorin bzw. Lyrikerin Johanna Baltz. 1849 wurde Baltz in Arnsberg geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1865 und 1918. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus oder Avantgarde / Dadaismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin vorgenommen werden. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 285 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 40 Versen. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „Der Schutzengel“ keine weiteren Gedichte vor.
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