Der Reliquienschrein von Rainer Maria Rilke

Draußen wartete auf alle Ringe
und auf jedes Kettenglied
Schicksal, das nicht ohne sie geschieht.
Drinnen waren sie nur Dinge, Dinge,
die er schmiedete; denn vor dem Schmied
war sogar die Krone, die er bog,
nur ein Ding, ein zitterndes und eines,
das er finster wie im Zorn erzog
zu dem Tragen eines reinen Steines.
 
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Seine Augen wurden immer kälter
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von dem kalten täglichen Getränk;
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aber als der herrliche Behälter
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(goldgetrieben, köstlich, vielkarätig)
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fertig vor ihm stand, das Weihgeschenk,
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daß darin ein kleines Handgelenk
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fürder wohne, weiß und wundertätig:
 
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blieb er ohne Ende auf den Knien,
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hingeworfen, weinend, nicht mehr wagend,
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seine Seele niederschlagend
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vor dem ruhigen Rubin,
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der ihn zu gewahren schien
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und ihn, plötzlich um sein Dasein fragend,
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ansah wie aus Dynastien.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.7 KB)

Details zum Gedicht „Der Reliquienschrein“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
23
Anzahl Wörter
124
Entstehungsjahr
1918
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Der Reliquienschrein“ stammt von dem bekannten deutschsprachigen Lyriker Rainer Maria Rilke, welcher von 1875 bis 1926 lebte und wirkte. Das Gedicht lässt sich dementsprechend in die literarische Epoche der Moderne einordnen, welche durch eine Vielzahl verschiedener Stilrichtungen und eine starke Orientierung am Subjekt gekennzeichnet ist.

Das Gedicht gibt auf den ersten Eindruck das Bild eines intensiven Erlebnisses oder Prozesses wieder, der durch eine stark emotional aufgeladene Atmosphäre geprägt ist.

Inhaltlich scheint es sich um einen Schmied zu handeln, der ein Kunstwerk, einen Reliquienschrein, herstellt. Erst scheinen die Materialien, die er verwendet, nichts Besonderes zu sein - „nur Dinge“, doch sie werden durch den Prozess des Schmiedens zu etwas Bedeutungsvollem verändert, zu einem Behälter für eine kostbare Reliquie.

Interessant ist die Beziehung zwischen dem Schmied und seinem Werk. Der lyrische Dialog scheint darauf hinzuweisen, dass der Schmied eine emotionale Bindung zu seinem Werk entwickelt. Dies wird besonders in der dritten Strophe deutlich, in der der Schmied vor dem vollendeten Werk, symbolisiert durch den „ruhigen Rubin“, auf den Knien bleibt und ihn anbetet. Das endgültige Ergebnis scheint ihn selbst zu überraschen und in Ehrfurcht zu versetzen - eine Erfahrung, die nahezu religiös oder spirituell wirkt.

Formal ist das Gedicht in drei Strophen mit unterschiedlicher Länge unterteilt, was ein unregelmäßiges Muster bildet, das typisch für viele der Werke der Moderne ist. Der Sprachstil Rilkes ist dabei sehr bildhaft und metaphorisch. Besonders auffällig ist dabei die Wiederholung des Wortes „Dinge“ in der ersten Strophe, die die alltägliche, materielle Qualität der Ausgangsmaterialien betont.

Zusammengefasst scheint „Der Reliquienschrein“ von Rainer Maria Rilke die Beziehung zwischen einem Künstler und seinem Werk darzustellen und die Transformation von profanen Materialien in ein heiliges Objekt hervorzuheben. Es spiegelt die tiefe Ehrfurcht und das Erstaunen wider, die der Schaffensprozess hervorrufen kann, und trägt damit zu einem tieferen Verständnis von Kunst und Spiritualität bei.

Weitere Informationen

Rainer Maria Rilke ist der Autor des Gedichtes „Der Reliquienschrein“. Rilke wurde im Jahr 1875 in Prag geboren. Im Jahr 1918 ist das Gedicht entstanden. Erschienen ist der Text in Leipzig. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Bei dem Schriftsteller Rilke handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 124 Wörter. Es baut sich aus 3 Strophen auf und besteht aus 23 Versen. Der Dichter Rainer Maria Rilke ist auch der Autor für Gedichte wie „Als ich die Universität bezog“, „Am Kirchhof zu Königsaal“ und „Am Rande der Nacht“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Reliquienschrein“ weitere 338 Gedichte vor.

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