Der Pirat von Richard Dehmel
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Mit zehn Kanonen blank an Bord, |
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mit vollen Segeln vor dem Wind, |
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die flink wie Mövenflügel sind, |
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streicht eine Barke durch die Flut: |
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die Barke des Piratenherrn, |
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auf allen Meeren er gekannt |
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von einem bis zum andern Strand, |
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der „Hai“ getauft für seinen Mut. |
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Im dunkeln Wasser hüpft der Mond, |
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im Tauwerk seufzt und pfeift der Wind, |
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ein langer Silberstreifen rinnt |
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breit durch die blaubewegte Flut. |
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Und der Piratenkapitän |
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sitzt singend hoch an Steuers Rand, |
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links Asiens, rechts Europens Strand, |
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und sitzt und singt und schwenkt den Hut: |
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„Fliege, mein Segler du, fliege, |
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unverzagt; |
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fliegst und segelst zum Siege! |
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Spottest der Stürme, der Klippen und Riffe, |
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der Himmelstücken, der feindlichen Schiffe, |
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weil dein Herr sein Leben wagt! |
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Zwanzig Prisen |
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haben wir gemacht, |
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haben die Staatsmützen |
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ausgelacht; |
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hundert Nationen |
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liegen und grüßen hier |
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mit ihren Flaggen |
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zu Füßen mir. |
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Denn meine Barke ist mein Reichtum, |
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denn mein Gesetz ist mein Begehr, |
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mein Gott der Wind und meine Freiheit, |
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mein einzig Vaterland das Meer. |
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„Könige steiten dadrüben |
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in blinder Gier |
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um ein paar Aecker Rüben. |
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Sehet, ich lache! Meine Gefilde |
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reichen, soweit das weite wilde |
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Meer entrollt sein frei Pannier. |
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Da ist kein Wimpel, |
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wie er auch glänze, |
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da keine Küste, |
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wo sie auch grenze, |
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die nicht Salut gethan |
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meinem Geschlecht, |
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die nicht erkannten |
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mein Hoheitsrecht. |
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Denn meine Barke ist mein Reichtum, |
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denn mein Gesetz ist mein Begehr, |
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mein Gott der Wind und meine Freiheit, |
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mein einzig Vaterland das Meer. |
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„Kaum schrein vom Mars die Jungen: |
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Schiff in Sicht! |
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rennt’s schon mit vollen Lungen, |
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hoi alle Segel breit, Fersengeldsegel, |
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rennt es und rennt es; denn diese Flegel |
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lieben den König der Meere nicht. |
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Aber wie Brüder |
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Ich und Ihr, |
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meine Getreuen, |
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teilen die Beute wir. |
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Ein einzig Eigentum |
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nehm ich für mich |
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ohne Rivalen: |
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dich, Schönheit, dich! |
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Denn meine Barke ist mein Reichtum, |
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denn mein Gesetz ist mein Begehr, |
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mein Gott der Wind und meine Freiheit, |
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mein einzig Vaterland das Meer. |
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„Verdammt zum Höllenfeuer, |
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zum Tod am Strick, |
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sitz’ich und lache euer! |
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Hütet euch, Schufte: wen ich mir lange, |
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den häng’ich auf an der Segelstange, |
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vielleicht von seiner eignen Brigg! |
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Und wenn ich falle: |
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was ist das Leben! |
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Hab es schon damals |
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verloren gegeben, |
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als ich die Kette brach, |
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als ich, ein Held, |
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mir schuf mein eigen Recht, |
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mir meine Welt. |
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Denn meine Barke ist mein Reichtum, |
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denn mein Gesetz ist mein Begehr, |
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mein Gott der Wind und meine Freiheit, |
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mein einzig Vaterland das Meer. |
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„Melodieen wie brausend |
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Orgelgewühl |
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spielt mir im Nachtsturm, sausend, |
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meiner geschüttelten Taue Gestöhne, |
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meiner Kanonen Donnergedröhne |
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und des schwarzen Meeres Gebrüll. |
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Von ihren tobenden |
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Liedern umschnoben, |
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geh ich zur Ruhe, |
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wogenumwoben, |
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jubelnde Zungen |
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rund um mich her, |
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in Schlaf gesungen |
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vom Meer, vom Meer. |
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Denn meine Barke ist mein Reichtum, |
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denn mein Gesetz ist mein Begehr, |
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mein Gott der Wind und meine Freiheit, |
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mein einzig Vaterland das Meer!“ |
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Im dunkeln Wasser hüpft der Mond, |
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im Tauwerk seufzt und pfeift der Wind, |
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ein langer Silberstreifen rinnt |
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breit durch die blaubewegte Flut. |
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Und der Piratenkapitän |
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lehnt schweigend hoch an Steuers Rand, |
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links Asiens, rechts Europens Strand, |
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tief in die Stirn gedrückt den Hut. |
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Mit zehn Kanonen blank an Bord, |
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mit vollen Segeln vor dem Wind, |
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die flink wie Mövenflügel sind, |
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streicht seine Barke durch die Flut: |
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die Barke des Piratenherrn, |
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auf allen Meeren er gekannt |
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vom einen bis zum andern Strand, |
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der „Hai“ getauft für seinen Mut. |
Details zum Gedicht „Der Pirat“
Richard Dehmel
7
122
561
1893
Moderne
Gedicht-Analyse
„Der Pirat“ ist ein Gedicht des deutschen Autors Richard Dehmel. Wie bekannt war, Dehmel ist eine prominente Figur der literarischen Epoche des Naturalismus und Symbolismus, was uns erlaubt, das Gedicht in den späten 19. und frühen 20. Jahrhundert einzuordnen.
Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht als eine romantische und idealisierte Darstellung des Piratenlebens. Es fängt mit einer Szene auf dem Meer, auf einem Piratenschiff, dass „flink wie Mövenflügel“ durch die Fluten rast, an. Es wird ein Abenteuer in Form eines Piratenlebens dargestellt, dass vor allem durch Freiheit und Unabhängigkeit gekennzeichnet ist.
Strophe für Strophe wird das Piratenleben und das Ungestüm des Kapitäns entfaltet. Dabei preist er im Liedform die Freiheit, den Kampf und die Unabhängigkeit, unterstreicht sein Recht auf eigene Gesetze und stellt dabei sein Schiff als seinen größten Reichtum dar. Die Wiederholung dieses Liedes in fast jeder Strophe unterstreicht die Bedeutung dieser Werte für Piraten und die zentrale Rolle des Meeres, die einzige Heimat, die sie kennen. In den letzten Strophen wird klar, dass er sogar bereit ist, für diese Freiheit zu sterben und seine einzige Angst ist, sie zu verlieren.
In Bezug auf die Form und die Sprache des Gedichts, Dehmel verwendet eine Kombination von Versen und Strophen von unterschiedlicher Länge, was eine gewisse Dynamik und Lebendigkeit verleiht und passt gut zu dem chaotischen und ungebundenen Leben eines Piraten. Die Sprache ist komplex und bildreich, mit vielen metaphorischen Bildern, die zur Romantisierung des Piratenlebens beitragen und eine Atmosphäre der Seefahrt und Abenteuer schaffen.
Insgesamt ist „Der Pirat“ eine Verherrlichung der Freiheit und Unabhängigkeit, die im Piratenleben dargestellt wird. Gleichzeitig ist es eine Kritik an der geordneten und hierarchischen Gesellschaft, die die Piraten verlassen haben und die sie als bedrückend und restriktiv empfinden. Es ist auch ein Ausdruck von Dehmels typischer Ablehnung der gesellschaftlichen Normen und Regeln und seinem Ideal von individueller Freiheit und Selbstbestimmung.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Der Pirat“ ist Richard Dehmel. Dehmel wurde im Jahr 1863 in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg geboren. 1893 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist München. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Dehmel ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 561 Wörter. Es baut sich aus 7 Strophen auf und besteht aus 122 Versen. Der Dichter Richard Dehmel ist auch der Autor für Gedichte wie „Ballade vom Volk“, „Bann“ und „Bastard“. Zum Autor des Gedichtes „Der Pirat“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 522 Gedichte vor.
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