Der Neugeborene von Rudolf Lavant

In eines Arbeitsmanns Daheim! – Im Bett,
Dem weißen, saubern, ruht sie ernst und bleich,
Die junge Mutter; ärmlich aber nett
Hält diese Frau ihr kleines, enges Reich.
Der Mann tritt ein, die nerv’gen Arme nackt,
Die Stirn gebräunt, und setzt sich neben sie,
Bewegt und froh. Die sonst den Hammer packt,
Die schwielenreiche Hand, wird zart wie nie.
Es ist, als ob er eine Rose pflückt,
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So zaghaft nimmt er auf den Arm das Kind,
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Bewundert es und lacht es an und drückt
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So manchen Kuß auf seine Wange lind.
 
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Er plaudert mit dem Kleinen: „Das macht Muth!
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Ein Sohn, ein Erbe! Püppchen, warte nur –
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Nun thut die Arbeit noch einmal so gut,
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Doch seh’ ich Abends öfter nach der Uhr!
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Denn komm’ ich heim, dann bist du da, Patron,
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Dann wiegt man dich, dann schäkert man mit dir. –
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Frau, er ist wirklich hübsch, dein kleiner Sohn!
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Dir sieht er ähnlich, aber niemals mir!“
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Die Mutter flüstert: „Aber schweige doch!
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Er schläft ja süß und fest – siehst du das nicht? –
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Geht das so fort, erwacht der Schelm mir noch!“
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Fügt sie hinzu mit schmollendem Gesicht.
 
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Sie schmollt und ist so glücklich doch und froh!
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Der Mann gehorcht, dem kleinen Kerl zu Lieb’,
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Und er verstummt und überwältigt so
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Des eignen Herzens ungestümen Trieb.
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Doch seine Freude macht sich siegend Luft –
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An seinen Wimpern hängt ein Thränenpaar.
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So bringt der Liebesrose feinsten Duft
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Der stumme Mann dem jungen Weibe dar,
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Und dieser Mann, so trotzig, derb und rauh,
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Dem sonst kein Wort der Schmeichelei gelingt,
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Vermittelt so der blassen jungen Frau
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Das Lied der Lieb’, das ihm im Herzen klingt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.7 KB)

Details zum Gedicht „Der Neugeborene“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
270
Entstehungsjahr
1883
Epoche
Realismus,
Naturalismus

Gedicht-Analyse

Der Autor dieses Gedichts ist Rudolf Lavant, geboren am 30. November 1844, verstorben am 6. Dezember 1915. Das Gedicht „Der Neugeborene“ wurde wahrscheinlich um die Jahrhundertwende geschrieben, also um 1900.

Beim ersten Lesen fallen die liebevoll detaillierten Beschreibungen auf, durch die die Freude und das Glück des Paares über ihren neugeborenen Sohn fast greifbar wird. Lavant stellt die Szene in einfacher, alltäglicher Sprache dar, wobei er die Arbeiterschicht, zu der das Paar gehört, in den Vordergrund stellt.

Im Inhalt des Gedichts geht es um eine Familie aus der Arbeiterklasse – der Vater ist ein Handwerker, die Mutter kümmert sich um das Zuhause. Sie haben gerade ihr erstes Kind bekommen und sind dementsprechend überglücklich. Der Vater freut sich, einen Erben zu haben und fühlt sich motivierter bei der Arbeit. Dennoch freut er sich immer auf den Feierabend, wenn er sein Kind sehen kann. Die Mutter hingegen sorgt sich, dass durch die Ausgelassenheit des Vaters das Kind aufwachen könnte. Aber innerlich ist auch sie überaus glücklich.

Formal ist das Gedicht in drei Strophen zu jeweils 12 Versen gegliedert. Sprachlich fallen vor allem die Metaphern auf, mit denen Lavant die Szene beschreibt: Der Vater, der seine handwerklichen Tätigkeiten aufgibt, um vorsichtig das Kind in den Arm zu nehmen, wird mit dem Pflücken einer Rose verglichen; die Freude des Vaters wird durch die Thränen, die ihm in den Augen hängen, symbolisiert.

Insgesamt verwendet Lavant eine einfache und direkte Sprache, um eine sehr menschliche und emotionale Szene zu beschreiben. Dabei hebt er die Liebe und Fürsorge hervor, die in der Familie herrscht, trotz der schweren Arbeitsverhältnisse des Vaters. Es zeigt das Glück und die Hoffnung, die ein neugeborenes Kind in einer Familie hervorrufen kann, unabhängig vom sozialen Status und den Lebensumständen.

Weitere Informationen

Rudolf Lavant ist der Autor des Gedichtes „Der Neugeborene“. Lavant wurde im Jahr 1844 in Leipzig geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1883. Erscheinungsort des Textes ist Stuttgart. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Realismus oder Naturalismus zugeordnet werden. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das Gedicht besteht aus 36 Versen mit insgesamt 3 Strophen und umfasst dabei 270 Worte. Der Dichter Rudolf Lavant ist auch der Autor für Gedichte wie „An unsere Feinde“, „An unsere Gegner“ und „An la belle France.“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Neugeborene“ weitere 96 Gedichte vor.

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