Am Grabe meiner Mutter von Wilhelm Hertz

Als du dem Lichte mich gegeben,
Umfing dich selbst die ew'ge Nacht;
Doch tief in meinem eig'nen Leben
Empfind' ich deiner Liebe Macht.
 
Wie aus des Keims verwesten Spalten
Ein Schößling treibt mit grünem Laub,
So steh' ich mächtig festgehalten,
O Mutter, über deinem Staub!
 
Nie hat mir deines Auges Schimmer
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Der Kindheit Dämmerung erhellt,
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Und fremd und tot blieb mir für immer,
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Was mir das Nächste auf der Welt.
 
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Nie hat mich klar auf dunklen Wegen
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Dein jugendschönes Bild umschwebt;
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Doch deines Opfertodes Segen,
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Das Schöne ist's, das in mir lebt.
 
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Ein tödlich Glück, ein sel'ges Schmerzen,
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Das einst das Herz der Mutter brach,
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Verklärt wirkt's in des Sohnes Herzen
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Als Weihekraft der Dichtung nach.
 
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Als du dem Lichte mich gegeben,
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Umfing dich selbst die ew'ge Nacht;
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Doch tief in meinem eig'nen Leben
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Empfind' ich deiner Liebe Macht.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.7 KB)

Details zum Gedicht „Am Grabe meiner Mutter“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
139
Entstehungsjahr
1835 - 1902
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Am Grabe meiner Mutter“ wurde von Wilhelm Hertz verfasst, einem deutschen Schriftsteller und Dichter, der von 1835 bis 1902 lebte. Die zeitliche Einordnung des Gedichtes erfolgt also im 19. Jahrhundert, genauer gesagt in der Epoche des Realismus.

Beim ersten Lesen des Gedichts erweckt es einen traurigen, melancholischen Eindruck. Es behandelt die tiefe Trauer und den Schmerz des lyrischen Ichs, das anscheinend seine Mutter bei der Geburt verloren hat und ihr Grab besucht.

Inhaltlich wird der Verlust und die Sehnsucht nach der Mutter deutlich, die das lyrische Ich nie kennenlernte. Trotz ihrer körperlichen Abwesenheit und der Unmöglichkeit, sie je gesehen zu haben, empfindet das lyrische Ich ihre Liebe und ihr Opfer tief in seinem eigenen Leben. Die mutterliche Affektion wird durch die Metapher der Pflanze, der aus der verwesten Hülle eines Keims ein grüner Spross hervorsprießt, gerahmt. Der Segen des Opfertodes der Mutter ist das Schöne, was im Dichter weiterlebt und seine Poesie heiligt.

Sprachlich zeichnet sich das Gedicht durch einfache, bildhafte Sprache aus, die tiefgehende Emotionen und Bilder evoziert. Die Form des Gedichts zieht sich durch sechs Strophen zu je vier Versen, wobei sich jeweils der erste und der zweite, sowie der dritte und der vierte Vers reimen (Kreuzreim). Interessant ist, dass die erste und die letzte Strophe identisch sind, was eine Kreisstruktur schafft, die den dauerhaften Einfluss und die Präsenz der Mutter im Leben des lyrischen Ichs unterstreicht.

Die Bedeutung des Gedichts ist intensiv und bewegend, da es den kontinuierlichen Einfluss und die dauerhafte Bindung an eine verstorbene Mutter aufzeigt, auch wenn sie körperlich nie präsent war. Sie hinterließ eine tiefe Spur im Herzen und in der Seele des lyrischen Ichs und hat somit einen konkret fühlbaren und nachhaltigen Einfluss auf dessen Leben und Dichterwesen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Am Grabe meiner Mutter“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Wilhelm Hertz. 1835 wurde Hertz in Stuttgart geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1851 und 1902. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 139 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 24 Versen. Weitere Werke des Dichters Wilhelm Hertz sind „Unter blühenden Bäumen“, „Begegnung“ und „Herbsthimmel“. Zum Autor des Gedichtes „Am Grabe meiner Mutter“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 11 Gedichte vor.

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