Im Walde von Ferdinand Freiligrath

Geh' ich einsam durch den Wald,
Durch den grünen, düstern,
Keines Menschen Stimme schallt,
Nur die Bäume flüstern:
 
O, wie wird mein Herz so weit,
Wie so hell mein Sinn!
Märchen aus der Kinderzeit
Treten vor mich hin.
 
Ja, ein Zauberwald ist hier:
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Was hier lebt und wächst,
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Stein und Blume, Baum und Tier,
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Alles ist verhext.
 
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Die auf dürren Laubes Gold
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Sich hier sonnt und sinnt,
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Diese Natter, krausgerollt,
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Ist ein Königskind.
 
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Dort in jenem dunklen Teich,
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Der die Hindin tränkt,
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Ist ihr Palast, hoch und reich,
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Tief hinabgesenkt.
 
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Den Herrn König, sein Gemahl,
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Und das Burggesinde,
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Und die Ritter allzumal
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Halten jene Gründe;
 
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Und der Habicht, der am Rand
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Des Gehölzes schwebt,
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Ist der Zaubrer, dessen Hand
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Diesen Zauber webt.
 
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O, wüßt' ich die Formel nun,
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Die den Zauber löst:
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Gleich in meinen Armen ruhn
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Sollte sie erlöst,
 
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Von der Schlangenhülle frei,
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Mit der Krone blank,
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In den Augen süße Scheu,
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Auf den Lippen Dank.
 
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Aus dem Teiche wunderlich
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Stiege das alte Schloß;
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Ans Gestade drängte sich
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Ritterlicher Troß.
 
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Und die alte Königin
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Und der König, beide,
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Unter sammt'nem Baldachin
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Säßen sie; der Bäume Grün
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Zitterte vor Freude.
 
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Und der Habicht, jetzt gewiegt
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Von Gewölk und Winden,
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Sollte machtlos und besiegt
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Sich im Staube winden.
 
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Waldesruhe, Waldeslust,
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Bunte Märchenträume,
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O, wie labt ihr meine Brust,
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Lockt ihr meine Reime!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.3 KB)

Details zum Gedicht „Im Walde“

Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
53
Anzahl Wörter
221
Entstehungsjahr
1810 - 1876
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Im Walde“ wurde von Ferdinand Freiligrath verfasst, der im 19. Jahrhundert lebte (1810-1876). Dieses Gedicht kann zeitlich der Epoche des Biedermeier und Vormärz zugeordnet werden.

Der erste Eindruck des Gedichts ruft Bilder von Natur und Einsamkeit hervor. Das lyrische Ich unternimmt einen Spaziergang durch den Wald, den es als mysteriös und zauberhaft wahrnimmt. Die Einzelhaftigkeit inmitten der Natur führt zu einer Stimmung der inneren Klarheit und Weite.

Im Inhalt des Gedichts schildert das lyrische Ich seine Wanderung durch den Wald und erläutert, wie es diese Erfahrung erlebt. Die Stille und die Atmosphäre des Waldes lösen in ihm Erinnerungen an Märchen aus der Kindheit aus. Die Naturerscheinungen werden als verzaubert wahrgenommen, und der Wald verwandelt sich in eine fantasievolle Märchenwelt, in die mythische Wesen wie eine verzauberte Königstochter und ein zaubernder Habicht eingebettet sind. Das lyrische Ich wünscht sich, den Zauber auflösen und die Natter - als verzauberte Königstochter - erlösen zu können. Das Gedicht schließt mit einer Huldigung an die inspirierende Kraft der Waldesruhe und der bunten Märchenträume.

Im Hinblick auf die Form besteht das Gedicht aus dreizehn Strophen, die jeweils vier Verse aufweisen, mit Ausnahme der elften Strophe, die fünf Verse enthält. Die Versform ist der Vierheber, allerdings ohne ein durchgehendes Reimschema.

Die Sprache ist einfach und klar, der Ton ist ruhig und nachdenklich. Freiligrath bedient sich bildhafter und metaphorischer Ausdrücke und verleiht dem Gedicht so eine mystische und märchenhafte Qualität. Das wiederholte Motiv des Zauberwaldes verstärkt den Eindruck einer Welt jenseits der Wirklichkeit. Die lebendige und sinnliche Darstellung der Natur erweckt den Wald zum Leben und erzeugt eine intensive Atmosphäre.

Die Interpretation des Gedichts lässt darauf schließen, dass es die Verbundenheit des lyrischen Ichs mit der Natur und die dadurch ausgelöste Inspiration und Kreativität darstellt. Die Natur dient als Schauplatz für die Entfaltung der Fantasie und für die Rückbesinnung auf Kindheitsträume und -vorstellungen. Das Gedicht spricht auch das menschliche Verlangen an, in mythische Welten einzutauchen und Zauber und Wunder zu erleben.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Im Walde“ des Autors Ferdinand Freiligrath. Im Jahr 1810 wurde Freiligrath in Detmold geboren. Im Zeitraum zwischen 1826 und 1876 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Freiligrath ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 221 Wörter. Es baut sich aus 13 Strophen auf und besteht aus 53 Versen. Weitere Werke des Dichters Ferdinand Freiligrath sind „Freie Presse“, „Springer“ und „Von unten auf“. Zum Autor des Gedichtes „Im Walde“ haben wir auf abi-pur.de weitere 65 Gedichte veröffentlicht.

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