Mondaufgang von Hermann Lingg

Ferne blasse Blitze sprühen
Leuchtend durch die schwüle Luft,
Und der Blumen erstes Blühen
Haucht im allerstärksten Duft;
Nachtigallen in trunkner Lust,
Fluten im Springquell heben die Brust,
Östlich am Äther entdämmert ein Glühen.
 
Dunkler wird's im Schattenreiche.
Hoher Blume Wipfelgold,
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Bergesklüfte, tiefe Teiche
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Zittern lichter. Blond und hold
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Neigt sich herüber das Mondgesicht,
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Lieblich, ein schlafendes Sonnenlicht,
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Glänzend in ruhiger Bleiche.
 
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Und wie einst in Delphis Hainen,
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Wie an Isis' Tempelthor,
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Tönend noch in Baum und Steinen,
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Flüsternd noch in Laub und Rohr,
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Ringt die Natur nach lebendigem Wort,
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Möchte mit uns auch wieder wie dort
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Leben und reden und jauchzen und weinen.
 
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Ach, verstummt ist ihre Lippe,
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Fern am tauben Himmel ziehn
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Die entseelten Tiergerippe
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Leerer Sternenbilder hin.
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Welch ein Geheimnis umschleiert den Pol?
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Was uns zu klagen verworren und hohl,
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Murmelt der Strom und die Flut an der Klippe.
 
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Nicht mehr weckt aus Felsenschranken
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Nymphenchor und Elfentanz,
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Über Flut und Efeuranken,
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Bleiches Licht, dein Myrtenglanz;
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Wandle dahin in erloschener Pracht,
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Klagende Seele der einsamen Nacht,
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Deine Geschlechter versanken!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.3 KB)

Details zum Gedicht „Mondaufgang“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
35
Anzahl Wörter
171
Entstehungsjahr
1820 - 1905
Epoche
Biedermeier,
Junges Deutschland & Vormärz,
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Mondaufgang“ wurde von Hermann Lingg verfasst. Lingg war ein deutscher Dichter und Dramatiker, der von 1820 bis 1905 lebte. Damit ordnet man ihn zeitlich etwa in die Spätromantik und das beginnende poetische Realismus ein.

Auf den ersten Blick wird durch das Gedicht eine Szene der aufgehenden Nacht beschrieben, die von einer gefühlten Melancholie durchdrungen ist.

In sorgfältigen Worten schildert das lyrische Ich die sich verändernde Atmosphäre zum Einbruch der Nacht und dem gleichzeitigen Mondaufgang. Die erste Strophe beschreibt eine intensive Natur in der Dämmerung, in der „Nachtigallen in trunkner Lust“ singen und die Blumen ihren stärksten Duft verströmen. In der zweiten Strophe setzt die Dunkelheit ein und die Landschaft wird nur noch von einem „schlafenden Sonnenlicht“, sprich dem Mond, erleuchtet.

In der dritten Strophe werden sowohl mythische als auch emotionale Elemente eingeführt. Das lyrische Ich vergleicht seine Umgebung mit den alten, vergangenen Zeiten von Delphi und Isis' Tempel. Danach spiegelt das lyrische Ich in den folgenden Strophen eine Art Melancholie und Sehnsucht, eine Nostalgie für eine Zeit, in der die Welt noch voller Geheimnisse und Wunder war. Sowohl Mensch als auch Natur sind nun stumm, die alten Geschlechter sind dahingeschwunden.

Formal besteht das Gedicht aus fünf Strophen mit jeweils sieben Versen. Gereimt wird in freien Versen, was der sanften Stimmung und Reflektion des Gedichts dient.

Das Gedicht ist sehr bildreich geschrieben und bedient sich vieler Metaphern wie „schlafendes Sonnenlicht“ für den Mond oder „entseelte Tiergerippe“ für Sternbilder. Die sprachliche Komponente dieses Gedichts wechselt zwischen schöner und verklärender Naturbeschreibung zu melancholischen, trauernden und fragenden Tönen. Die Sprache spiegelt den inneren Konflikt des lyrischen Ichs wider und unterstreicht damit die Wirksamkeit Linggs Poetik.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Hermann Linggs „Mondaufgang“ ein lyrischer Ausdruck von Melancholie und Sehnsucht nach vergangenen Zeiten ist, die dem lyrischen Ich als eine Zeit der Lebendigkeit und des Wunders erscheinen.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Mondaufgang“ ist Hermann Lingg. Der Autor Hermann Lingg wurde 1820 in Lindau am Bodensee geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1836 und 1905. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz, Realismus, Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das Gedicht besteht aus 35 Versen mit insgesamt 5 Strophen und umfasst dabei 171 Worte. Weitere Werke des Dichters Hermann Lingg sind „Ich liebte dich“, „Vergilbte Blätter“ und „Als wie ein Frühling mich entzückte“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Mondaufgang“ weitere 20 Gedichte vor.

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