Allerseelen von Maximilian Bern

Der Tag ist trüb,
Der Himmel grau;
Am feuchten Fenster
Steh' ich und schau'
Hinaus in den Regen,
Hinab auf den Grund
Der Straße, die zu dieser Stund'
Von Menschen erfüllt
In schwarzem Gewand.
10 
Viel Lichter und Kränze in der Hand,
11 
Ziehn sie zu Wagen und zu Fuß
12 
An mir vorüber im Regenguß.
 
13 
Den Toten, den Toten
14 
Gehört der Tag!
15 
Die Erinn'rung heut,
16 
Jeder Herzensschlag!
17 
Jede Thräne, die im Auge brennt,
18 
Jeder Name, den man weinend nennt,
19 
Den Toten, den Toten!
 
20 
Ich stürme nicht mit
21 
Zum Friedhof hinaus;
22 
Ich feiere Allerseelen zu Haus.
23 
In düsterer Stube,
24 
Im stillen Raum
25 
Durchträum' ich einen
26 
Entschwundenen Traum,
27 
Fühl' tote Liebe
28 
Ich auferstehn,
29 
Seh' ein bleiche Weib ich
30 
Um Gnade flehn:
31 
Ein Weib, das im Leichtsinn
32 
Verkam und verdarb,
33 
Im Glanze lebte,
34 
Im Elend starb.
35 
Entstiegen dem Grabe,
36 
Starrt reuig mich an,
37 
Die tiefstes Leid mir
38 
Einst angethan;
39 
Die sie auf dem Kirchhof
40 
Des Spittels versenkt,
41 
Und deren mein Herz heut
42 
Vergebend gedenkt.
 
43 
Es pocht der Regen
44 
An meine Scheiben,
45 
Noch herrscht auf der Straße
46 
Ein hastiges Treiben;
47 
Noch stürmet alles
48 
Zur Totenstadt,
49 
Wo mancher sein Glück
50 
Begraben hat.
 
51 
O, eilt nur zum Friedhof
52 
In wirrem Gewühle,
53 
Vereint im Gefühle
54 
Des Schmerzes hinaus!
55 
Nichts Traurigeres
56 
Als Allerseelen
57 
Verwaist und verlassen
58 
Im einsamen Haus!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.3 KB)

Details zum Gedicht „Allerseelen“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
58
Anzahl Wörter
209
Entstehungsjahr
1849 - 1923
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Allerseelen“ ist von Maximilian Bern, einem österreichischen Schriftsteller aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Der erste Eindruck des Gedichtes lässt auf eine melancholische und traurige Grundstimmung schließen, die durch die Beschreibung des trüben Tages, des grauen Himmels und des regnerischen Wetters bereits in den ersten Zeilen deutlich wird.

In den ersten beiden Strophen beschreibt das lyrische Ich seine Beobachtungen einer Prozession von Menschen, die in schwarz gekleidet und mit Kränzen und Lichtern ausgerüstet zum Friedhof ziehen. Die Atmosphäre ist feierlich und ernst, passend zum Titel „Allerseelen“, was auf den christlichen Feiertag zur Erinnerung an die Verstorbenen hinweist.

In der dritten Strophe wird klar, dass das lyrische Ich sich nicht der Prozession anschließt, sondern alleine zu Hause bleibt. Seine Gedanken kreisen um eine geliebte Frau, deren tragisches Schicksal angedeutet wird. Sie lebte in Luxus, geriet jedoch in den Ruin und starb im Elend. Das lyrische Ich empfindet tiefe Trauer und vielleicht auch Reue und Schuldgefühle, wenn es an sie denkt.

Die letzten beiden Strophen kehren zu der beschriebenen Szene auf der Straße zurück, auf der die Menschen weiterhin zum Friedhof eilen. Das lyrische Ich betont die Einsamkeit und Traurigkeit von Allerseelen, besonders für diejenigen, die alleine sind.

Formal besteht das Gedicht aus fünf Strophen unterschiedlicher Länge, die in gereimten Versen verfasst sind. Die Sprache ist dabei eher einfach und klar, ohne komplizierte Metaphern oder Symbolik. Dennoch erzeugt die detailreiche Beschreibung der Szenen und Emotionen eine starke atmosphärische Wirkung. Die Wiederholung des Ausdrucks „Den Toten, den Toten“ und die mehrfache Erwähnung von Tränen und Weinen unterstreichen das Thema der Trauer und des Gedenkens, das das Gedicht dominiert.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Allerseelen“ des Autors Maximilian Bern. Im Jahr 1849 wurde Bern in Cherson geboren. Im Zeitraum zwischen 1865 und 1923 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus oder Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit zugeordnet werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das vorliegende Gedicht umfasst 209 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 58 Versen. Die Gedichte „Wetterleuchten“, „Warum“ und „Dein Begräbnis“ sind weitere Werke des Autors Maximilian Bern. Zum Autor des Gedichtes „Allerseelen“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 10 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Maximilian Bern (Infos zum Autor)

Zum Autor Maximilian Bern sind auf abi-pur.de 10 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.