Der Metaphysiker von Friedrich Schiller

»Wie tief liegt unter mir die Welt,
Kaum seh ich noch die Menschlein unten wallen!
Wie trägt mich meine Kunst, die Höchste unter allen,
So nahe an des Himmels Zelt!«
So ruft von seines Thurmes Dache
Der Schieferdecker, so der kleine große Mann
Hans Metaphysikus in seinem Schreibgemache.
Sag an, du kleiner großer Mann,
Der Thurm, von dem dein Blick so vornehm niederschauet,
10 
Wovon ist er – worauf ist er erbauet?
11 
Wie kamst du selbst hinauf, – und seine kahlen Höhn,
12 
Wozu sind sie dir nütz, als in das Thal zu sehn?
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24 KB)

Details zum Gedicht „Der Metaphysiker“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
12
Anzahl Wörter
90
Entstehungsjahr
1796
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Metaphysiker“ stammt von Friedrich Schiller, einem der herausragendsten Schriftsteller der Weimarer Klassik. Er lebte von 1759 bis 1805, was das Gedicht zeitlich in die Epoche der Aufklärung einfügt, als Vernunft, Rationalität und wissenschaftlicher Fortschritt eine entscheidende Rolle spielten.

Das Gedicht wirkt dem ersten Eindruck nach augenzwinkernd ironisch, stellt es doch Vergleiche zwischen jemandem, der tatsächlich hoch oben auf einem freistehenden Baum steht, und einem Metaphysiker, dessen erhöhte Sichtweise eher durch abstrakte Ideen und Denkkonstrukte hergestellt wird.

Inhaltlich geht es um zwei Figuren, die sich beide überlegen fühlen - ein Dachdecker und ein Metaphysiker. Beide blicken von oben herab und sehen den Rest der Welt weit unter sich. Während der Dachdecker physisch hoch hinausgestiegen ist, erhebt sich der Metaphysiker auf die Höhen abstrakter Gedanken. Der Lyriker stellt allerdings die Frage, ob dieser erhabene Blick tatsächlich nützlich und bereichernd ist.

Das lyrische Ich scheint die Selbstgefälligkeit sowohl des Dachdeckers als auch des Metaphysikers auf die Schippe zu nehmen. Es stellt infrage, ob es Sinn macht, sich erhöht zu fühlen und ob die beiden Protagonisten ihre Position gerechtfertigt haben. Der Metaphysiker scheint besonders kritisiert zu werden, da er in seinem Elfenbeinturm sitzt und nur auf die Welt herabblickt, ohne wirklich etwas damit zu tun zu haben.

Formal handelt es sich um ein 12-zeiliges Gedicht ohne feste Reimstruktur, was Schiller typisch für seine späteren, freieren und experimentelleren Werke ist. Der Sprachgebrauch ist elegant und poetisch, mit einer gewissen Distanz und Ironie. Besonders auffallend ist das Wechselspiel von „großen“ und „kleinen“ Mann, wodurch Schiller den Kontrast zwischen äußerer Ansicht oder Position und tatsächlicher Bedeutung oder Wert hervorhebt.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Schiller in „Der Metaphysiker“ die Selbstüberschätzung und die Isolierung kritisiert, die aus der Annahme entstehen können, überlegen zu sein, sei es durch körperliche Höhe oder intellektuelle Erhabenheit. Dabei zeichnet Schiller ein humorvolles, aber auch scharfsinniges Bild der menschlichen Selbstgenügsamkeit und Hybris.

Weitere Informationen

Friedrich Schiller ist der Autor des Gedichtes „Der Metaphysiker“. 1759 wurde Schiller in Marbach am Neckar, Württemberg geboren. Im Jahr 1796 ist das Gedicht entstanden. Neustrelitz ist der Erscheinungsort des Textes. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Der Schriftsteller Schiller ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang (häufig auch Geniezeit oder Genieperiode genannt) ist eine literarische Epoche, welche zwischen 1765 und 1790 existierte und an die Empfindsamkeit anknüpfte. Später ging sie in die Klassik über. Der Sturm und Drang war eine Protestbewegung, die aus der Aufklärung hervorging. Der Protest richtete sich dabei gegen den Adel und dessen höfische Welt, sowie andere absolutistische Obrigkeiten. Er richtete sich aber auch gegen das Bürgertum, das als eng und freudlos galt, und dessen Moralvorstellungen veraltet waren. Als Letztes richtete sich der Protest des Sturm und Drang gegen Traditionen in der Literatur. Die Vertreter waren zumeist Schriftsteller jüngeren Alters, meistens nicht älter als 30 Jahre. In den Gedichten wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Autoren aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die traditionellen Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit seinen beiden wichtigen Vertretern Goethe und Schiller entwickelte sich der Sturm und Drang weiter und ging in die Weimarer Klassik über.

Zwei sich deutlich unterscheidende Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert bewegt: die Aufklärung und eine gefühlsbetonte Strömung, die durch den Sturm und Drang vertreten wurde. Die Weimarer Klassik ist eine Verschmelzung dieser beiden Elemente. Die Weimarer Klassik nahm ihren Anfang mit Goethes Italienreise im Jahr 1786 und endete mit Goethes Tod im Jahr 1832. Sowohl Klassik als auch Weimarer Klassik sind häufig verwendete Bezeichnungen für die Literaturepoche. Toleranz, Menschlichkeit und Übereinstimmung von Natur und Mensch, von Gesellschaft und Individuum sind die Ideale der Klassik. Im Zentrum des klassischen Kunstkonzepts steht das Streben nach harmonischem Ausgleich der Gegensätze. Ein hohes Sprachniveau ist für die Werke der Klassik kennzeichnend. Während man in der Epoche des Sturm und Drangs die natürliche Sprache wiedergeben wollte, stößt man in der Klassik auf eine reglementierte Sprache. Schiller, Goethe, Wieland und Herder können als die Hauptvertreter der Weimarer Klassik bezeichnet werden. Aber nur Schiller und Goethe inspirierten und motivierten einander durch intensive Zusammenarbeit und gegenseitige Kritik.

Das 90 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 12 Versen mit nur einer Strophe. Der Dichter Friedrich Schiller ist auch der Autor für Gedichte wie „Breite und Tiefe“, „Bürgerlied“ und „Columbus“. Zum Autor des Gedichtes „Der Metaphysiker“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 220 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Friedrich Schiller

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Friedrich Schiller und seinem Gedicht „Der Metaphysiker“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Friedrich Schiller (Infos zum Autor)

Zum Autor Friedrich Schiller sind auf abi-pur.de 220 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.