Der Letzte von Rainer Maria Rilke

Ich habe kein Vaterhaus,
und habe auch keines verloren;
meine Mutter hat mich in die Welt hinaus
geboren.
Da steh ich nun in der Welt und geh
in die Welt immer tiefer hinein,
und habe mein Glück und habe mein Weh
und habe jedes allein.
Und bin doch manch eines Erbe.
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Mit drei Zweigen hat mein Geschlecht geblüht
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auf sieben Schlössern im Wald,
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und wurde seines Wappens müd
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und war schon viel zu alt; –
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und was sie mir ließen und was ich erwerbe
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zum alten Besitze ist heimatlos.
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In meinen Händen, in meinem Schooß
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muß ich es halten bis ich sterbe.
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Denn was ich fortstelle,
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hinein in die Welt,
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fällt,
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ist wie auf eine Welle
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gestellt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.4 KB)

Details zum Gedicht „Der Letzte“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
22
Anzahl Wörter
116
Entstehungsjahr
1906
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht mit dem Titel „Der Letzte“ stammt von Rainer Maria Rilke, einem der bedeutendsten Lyriker der deutschen Literatur, der von 1875 bis 1926 lebte. Das Gedicht ist somit ein Produkt der literarischen Moderne, welche etwa von der Jahrhundertwende bis zum Ende des 2. Weltkriegs datiert wird.

Schon beim ersten Lesen kann das Gefühl von Einsamkeit, Selbständigkeit und einer gewissen Melancholie wahrgenommen werden. Der lyrische Sprecher präsentiert eine persönliche, fast introspektive Perspektive auf seine Position in der Welt und seine Abstammung.

Inhaltlich geht es in dem Gedicht um das lyrische Ich, das darlegt, dass es weder ein Vaterhaus hat noch eines verloren hat, also offensichtlich keine familiären Bindungen hat und allein in der Welt steht. Trotz seiner Abstammung von einer einflussreichen und wohlhabenden Familie mit sieben Schlössern, die bis zu drei Generationen reicht, fühlt er sich des Erbes müde und sieht sich selbst als heimatlos. Das lyrische Ich fühlt sich in der Welt allein mit seinem Glück und seinem Leid, allerdings äußert er auch, dass es sich seiner Herkunft bewusst ist und diese trotz allem weitertragen muss.

Die Sprache des Gedichts ist klar und unverschnörkelt, unter Verwendung von ausdrucksstarken Bildern und Metaphern. Die Verse sind in freien Rhythmen verfasst und haben keinen festen Reimschema, was zur melancholischen Stimmung des Gedichts beiträgt und eher typisch für Rilkes Spätwerk ist.

Die Form des Gedichtes ist freie Verse, was für Rilke typisch ist. Es gibt eine lose Struktur in seiner Zusammensetzung und eine bestimmte Balance zwischen seinen Versen. Jeder Vers ist eigenständig und drückt einen vollständigen Gedanken aus, der zusammen mit den anderen Versen das gesamte Bild des Gedichts bildet. Die formale Struktur des Gedichtes unterstützt die Grundstimmung von Unabhängigkeit und Einsamkeit, die durch das gesamte Gedicht hindurch besteht. Rilke nutzt dabei effektvolle Mittel wie die Wiederholung („in die Welt“) um seine Botschaft zu intensivieren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Rilke in diesem Gedicht ein intensives Bild von Homelossigkeit, Einsamkeit und Unabhängigkeit zeichnet, das nicht nur seine eigene Erfahrung mit diesen Gefühlen reflektiert, sondern auch die Erfahrung vieler Menschen in der damaligen Zeit der kulturellen und sozialen Umbrüche im beginnenden 20. Jahrhundert widerspiegelt.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Der Letzte“ des Autors Rainer Maria Rilke. Geboren wurde Rilke im Jahr 1875 in Prag. Das Gedicht ist im Jahr 1906 entstanden. Erschienen ist der Text in Berlin / Leipzig, Stuttgart. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Rilke ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 22 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 116 Worte. Rainer Maria Rilke ist auch der Autor für Gedichte wie „Abend in Skaane“, „Absaloms Abfall“ und „Adam“. Zum Autor des Gedichtes „Der Letzte“ haben wir auf abi-pur.de weitere 338 Gedichte veröffentlicht.

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