Der Lenz ist da! von Kurt Tucholsky

Das Lenzsymptom zeigt sich zuerst beim Hunde,
dann im Kalender und dann in der Luft,
und endlich hüllt auch Fräulein Adelgunde
sich in die frischgewaschene Frühlingskluft.
 
Ach ja, der Mensch! Was will er nur vom Lenze?
Ist er denn nicht das ganze Jahr in Brunst?
Doch seine Triebe kennen keine Grenze –
Dies Uhrwerk hat der liebe Gott verhunzt.
 
Der Vorgang ist in jedem Jahr derselbe:
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man schwelgt, wo man nur züchtig beten sollt,
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und man zerdrückt dem Heiligtum das gelbe
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geblümte Kleid – ja, hat das Gott gewollt?
 
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Die ganze Fauna treibt es immer wieder:
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Da ist ein Spitz und eine Pudelmaid –
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die feine Dame senkt die Augenlider,
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der Arbeitsmann hingegen scheint voll Neid.
 
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Durch rauh Gebrüll läßt sich das Paar nicht stören,
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ein Fußtritt trifft den armen Romeo –
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mich deucht, hier sollten zwei sich nicht gehören …
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Und das geht alle, alle Jahre so.
 
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Komm, Mutter, reich mir meine Mandoline,
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stell mir den Kaffee auf den Küchentritt. –
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Schon dröhnt mein Baß: Sabine, bine, bine …
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Was will man tun? Man macht es schließlich mit.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.8 KB)

Details zum Gedicht „Der Lenz ist da!“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
172
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht heißt „Der Lenz ist da!“ und wurde von Kurt Tucholsky verfasst, einem deutschen Journalisten und Schriftsteller, der von 1890 bis 1935 lebte. Tucholsky war eine bekannte Stimme der Weimarer Republik und seine Texte reflektieren oft die politischen und sozialen Verhältnisse seiner Zeit.

Beim ersten Lesen überrascht das Gedicht durch seinen humorvollen und ironischen Ton und bietet eine unkonventionelle Betrachtung des Frühlings bzw. „Lenzes“. Das lyrische Ich nimmt die Ankunft des Frühlings wahr und macht sich dabei Gedanken über menschliches und tierisches Verhalten in dieser Jahreszeit, wobei es offenbar von der überschwänglichen Trieblust aller Lebewesen amüsiert und zugleich abgestoßen ist.

Im Inhalt des Gedichts wird der Frühlingsbeginn zunächst durch Anzeichen bei Tieren, in Kalendereinträgen und in der Atmosphäre festgestellt. Das lyrische Ich zieht schließlich eine Allegorie zwischen der Ankunft des Frühlings und menschlichen Sexualtrieben, wobei es sich humorvoll über die unfassbare und unkontrollierbare Natur dieser Triebe äußert. Es ironisiert das Verhalten von Menschen und Tieren gleichermaßen und stellt es in einen absurden Kontrast zur üblichen Heiligkeit und Ruhe des Frühlings.

Die Form des Gedichts ist in sechs vierzeilige Strophen aufgeteilt, mit einem einfachen Reimschema (aabb oder abab), das dem Gedicht seinen leichten, fast scherzhaften Rhythmus verleiht. Die Sprache ist umgangssprachlich und direkt, mit vielen Alltagsbeispielen und Anspielungen, die den Eindruck von Vertrautheit und Leichtigkeit hervorrufen. Tucholsky nutzt Wiederholungen und rhetorische Fragen, um seine Ironie und sein Augenzwinkern hervorzuheben. Die letzte Strophe rundet das Gedicht mit einer humorvollen Resignation ab.

Insgesamt ist „Der Lenz ist da!“ ein humorvolles und ironisches Gedicht, das trotz seiner Leichtigkeit tiefgründige und kritische Fragen über menschliches und tierisches Verhalten im Frühling aufwirft. Es dient als spöttischer Kommentar dazu, wie die Triebe in uns allen, sei es bei Tieren oder Menschen, durch den Frühlingsbeginn geweckt werden und uns dazu bringen, uns in Weisen zu verhalten, die absurd, unkontrollierbar und manchmal sogar brutal erscheinen können.

Weitere Informationen

Kurt Tucholsky ist der Autor des Gedichtes „Der Lenz ist da!“. Der Autor Kurt Tucholsky wurde 1890 in Berlin geboren. Im Jahr 1919 ist das Gedicht entstanden. Charlottenburg ist der Erscheinungsort des Textes. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zu. Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

In der Literatur der Weimarer Republik wurden inhaltlich häufig die Ereignisse des Ersten Weltkrieges verarbeitet. Sowohl der Erste Weltkrieg als auch die späteren politischen Gegebenheiten der Weimarer Republik sind prägende Faktoren für diese Epoche. Bei der Neuen Sachlichkeit war der Inhalt der Texte wichtiger als die Form. Die Schreiber dieser Bewegung wollten mit ihren Texten möglichst viele Menschen aus allen sozialen Schichten ansprechen. Aus diesem Grund wurden die Texte in einer alltäglichen Sprache verfasst und wurden oft im Stile einer dokumentarisch-exakten Reportage geschrieben. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die zum Beispiel in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz setze den Schriftstellern dieser Zeit noch mal verstärkt Grenzen. 1931 trat die Pressenotverordnung in Kraft, dadurch waren die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate hinweg möglich geworden.

Zur Zeit des Nationalsozialismus mussten viele Autoren ins Ausland fliehen. Dort entstand die sogenannte Exilliteratur. Ausgangspunkt der Exilbewegung ist der Tag der Bücherverbrennung im Jahr 1933 im nationalsozialistischen Deutschland. Alle nicht-arischen Werke wurden verboten und symbolträchtig verbrannt. In Folge dessen flohen zahlreiche Schriftsteller aus Deutschland. Die Exilliteratur der Literaturgeschichte Deutschlands bildet eine eigene Literaturepoche und folgt auf die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik. Themen wie Verlust der eigenen Kultur, existenzielle Probleme, Sehnsucht nach der Heimat oder Widerstand gegen den Nationalsozialismus sind typisch für diese Epoche der Literatur. Spezielle formale Merkmale weist die Exilliteratur nicht auf. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Realismus und Expressionismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das vorliegende Gedicht umfasst 172 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 24 Versen. Weitere Werke des Dichters Kurt Tucholsky sind „An die Meinige“, „An einen garnisondienstfähigen Dichter“ und „An ihren Papa“. Zum Autor des Gedichtes „Der Lenz ist da!“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.

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