Abendlied von Gottfried Keller

Augen, meine lieben Fensterlein,
gebt mir schon so lange holden Schein,
lasset freundlich Bild um Bild herein:
einmal werdet ihr verdunkelt sein!
 
Fallen einst die müden Lider zu,
löscht ihr aus, dann hat die Seele Ruh;
tastend streift sie ab die Wanderschuh,
legt sich auch in ihre finstre Truh.
 
Noch zwei Fünklein sieht sie glimmend stehn
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wie zwei Sternlein, innerlich zu sehn,
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bis sie schwanken und dann auch vergehn,
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wie von eines Falters Flügelwehn.
 
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Doch noch wandl ich auf dem Abendfeld,
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nur dem sinkenden Gestirn gesellt;
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trinkt, o Augen, was die Wimper hält,
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von dem goldnen Überfluß der Welt!
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Abendlied“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
16
Anzahl Wörter
99
Entstehungsjahr
1819 - 1890
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts ist Gottfried Keller, ein bedeutender Dichter und Schriftsteller der Schweiz aus dem 19. Jahrhundert. Das Gedicht „Abendlied“ wäre daher zeitlich in die Epoche des Realismus einzuordnen.

Schon beim ersten Lesen vermittelt das Gedicht eine melancholische Stimmung. Thematisch handelt es von Vergänglichkeit und Tod, was die düstere Atmosphäre erzeugt, aber auch eine gewisse friedvolle Akzeptanz dessen ausdrückt.

Inhaltlich spricht das lyrische Ich die eigenen Augen an, welche es als seine „lieben Fensterlein“ bezeichnet. Sie sind die Fenster zur Welt, welche dem Ich holden, also lieblichen Schein geben. Aber es wird auch direkt auf ihre Endlichkeit hingewiesen, dass sie eines Tages verdunkelt sein werden. In der zweiten Strophe ist die Rede von dem Einsetzen des Todes, wenn die müden Augenlider fallen und die Seele Ruhe findet. Die dritte Strophe beschreibt den Prozess des Sterbens weiter, während die Seele noch ein kleines Funkeln, die Erinnerung an das Leben vielleicht, erblickt, bevor auch dieses erlischt. Im letzten Versabschnitt geht das lyrische Ich nochmals auf die Gegenwart ein, in der es noch auf dem „Abendfeld“ wandelt und saugt die Schönheit der Welt auf, bevor sie für es erlischt.

Die Form des Gedichts besteht aus vier Strophen mit jeweils vier Versen. Die Sprache ist präzise, aber gleichzeitig bildhaft und emotional. Die Augen als „Fensterlein“ zu bezeichnen, ist ein liebevolles und zugleich persönliches Bild. Die letzte Strophe bringt eine ergreifende Empfindung hervor, dass das lyrische Ich jeden Moment seiner verbleibenden Zeit der Wahrnehmung schätzt und aufnimmt.

Zusammenfassend thematisiert Keller in seinem Gedicht „Abendlied“ das Älterwerden und die Vergänglichkeit des Lebens, wobei er eine hymnische Haltung gegenüber dem Tod und eine Wertschätzung der Schönheit des Lebens zum Ausdruck bringt. Jedoch zieht sich eine gewisse Melancholie durch das Gedicht, was die tragische Empfindung der Endlichkeit unterstreicht.

Weitere Informationen

Gottfried Keller ist der Autor des Gedichtes „Abendlied“. Im Jahr 1819 wurde Keller in Zürich geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1835 und 1890. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Bei Keller handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 16 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 99 Worte. Die Gedichte „Abendregen“, „In der Trauer“ und „An das Herz“ sind weitere Werke des Autors Gottfried Keller. Zum Autor des Gedichtes „Abendlied“ haben wir auf abi-pur.de weitere 48 Gedichte veröffentlicht.

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