Abendregen von Gottfried Keller

Langsam und schimmernd fiel ein Regen,
in den die Abendsonne schien;
der Wandrer schritt auf schmalen Wegen
mit düstrer Seele drunter hin.
 
Er sah die großen Tropfen blinken
im Fallen durch den goldnen Strahl;
er fühlt' es kühl aufs Haupt ihm sinken
und sprach mit Schaudern süßer Qual:
 
„Nun weiß ich, daß ein Regenbogen
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sich hoch um meine Stirne zieht,
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den auf dem Pfad, so ich gezogen,
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die heitre Ferne spielen sieht.
 
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Und die mir hier am nächsten stehen,
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und wer mich wohl zu kennen meint,
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sie können selber doch nicht sehen,
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wie er versöhnend ob mir scheint.
 
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So wird, wenn andre Tage kamen,
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die sonnig auf dies Heute sehn,
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um meinen fernen, blassen Namen
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des Friedens heller Bogen stehn."
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Abendregen“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
20
Anzahl Wörter
121
Entstehungsjahr
1819 - 1890
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Abendregen“ wurde von Gottfried Keller verfasst, einem Schweizer Dichter und Schriftsteller des Realismus, der von 1819 bis 1890 lebte. Damit lässt es sich zeitlich in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts einordnen.

Auf den ersten Blick ist diese Lyrik eine stimmungsvolle Darstellung einer abendlichen Regenszene. Keller beschreibt ein lyrisches Ich, das während eines Regengusses unterwegs ist. Durch die Vermischung des Regens mit dem Licht der untergehenden Sonne entsteht ein Regenbogen. Dieses Naturphänomen weckt im Beobachter tiefgehende Gefühle und führt zu einer intensiven Selbstreflexion.

Inhaltlich setzt sich das lyrische Ich mit der eigenen Wahrnehmung und der Wahrnehmung durch andere auseinander. Es erkennt, dass andere den Regenbogen, als Metapher für sein Inneres, seines Gefühlslebens, nicht sehen können. Damit formuliert der Protagonist das Gefühl der Einsamkeit und der Unverstandenheit. Aber es ist auch eine Art von Versöhnung in diesem Erkennen, die ihm durch den Regenbogen symbolisiert wird. Im letzten Vers äußert das lyrische Ich schließlich die Hoffnung, dass in der Zukunft, nach seinem Tod, der „helle Bogen“ des Friedens um seinen Namen besteht.

Die Sprache des Gedichtes ist typisch für Keller: Hauptsächlich in einfacher, alltäglicher Diktion gehalten, mit gezieltem Einsatz von Bildern und Metaphern zur Vertiefung von Stimmung und Bedeutung. Die Form besteht aus fünf vierzeiligen Strophen mit einem durchgehenden, gleichbleibenden Metrum, was den Eindruck von Ruhe und Beständigkeit verstärkt.

Zusammenfassend handelt es sich bei „Abendregen“ um ein tiefsinniges Gedicht, das Naturbeobachtung mit Selbstreflexion und der Auseinandersetzung mit Tod, Unverstandenheit und Versöhnung kombiniert. Die Verwendung alltäglicher Sprache und die Stringenz der Form sorgen dafür, dass diese Themen auf eine sanfte, aber eindringliche Weise präsentiert werden.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Abendregen“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Gottfried Keller. Geboren wurde Keller im Jahr 1819 in Zürich. Im Zeitraum zwischen 1835 und 1890 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Der Schriftsteller Keller ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 121 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 20 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Der Dichter Gottfried Keller ist auch der Autor für Gedichte wie „Herbstnacht“, „Herbstlied“ und „Die Zeit geht nicht“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Abendregen“ weitere 48 Gedichte vor.

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