Der Kirchenbau in Aachen von August Friedrich Ernst Langbein
Eine Legende
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In Aachen ward vor grauer Zeit |
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Ein Kirchenbau voll Eifer angefangen. |
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Der Hammer und die Axt erklangen |
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Sechs Monden lang mit seltner Thätigkeit. |
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Doch leider war der frommen Christenheit, |
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Die dieses Werk betrieb, das Geld nun aus gegangen. |
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Es stockte schnell der Baugewerken Lohn: |
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So schnell auch ihre Lust, zu hämmern und zu hauen. |
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Die Menschen hatten nicht so viel Religion, |
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Ein Gotteshaus auf Conto zu erbauen. |
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Nur halb vollendet stand es da, |
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Und glich schon sinkenden Ruinen. |
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In seinen Mauerritzen sah |
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Man Steinmoos, Gras und Eppich grünen. |
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Schon suchten hier die Käutzlein einen Platz, |
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Wo sie sich einquartieren wollten, |
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Und Buhlerei trieb da der freche Spatz, |
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Wo Priester längst die Keuschheit lehren sollten. |
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Die Bauherr’n sannen kreuz und quer, |
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Und liefen hin und liefen her. |
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Umsonst! Es wollte sich kein reicher Mann entschließen, |
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Ein rundes Sümmchen vorzuschießen. |
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Bei Sammlungen von Haus zu Haus |
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Fiel auch die Ärndte dürftig aus. |
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Statt der gehoften goldnen Füchse, |
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Fand man nur Kupfer in der Büchse. |
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Nach drob empfangenem Bericht, |
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Verzog der Magistrat gar grämlich sein Gesicht, |
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Und blickte nach der Tempelmauer |
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Mit tief bekümmertem Gemüth, |
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Gleich einem Vater, der voll Trauer |
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Sein Lieblingskind verwelken sieht.. |
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In dieser ängstlichen Minute |
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Erschien ein fremder, feiner Mann, |
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Der etwas stolz im Ton und Blick begann: |
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»Bonsdies! Man sagt, euch sei nicht wohl zu Muthe. |
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Hum! wenn’s an Geld nur fehlt, so tröstet euch, ihr Herr’n! |
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Mir zollen Gold- und Silberminen; |
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Ich kann und will daher euch gern |
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Mit einer Tonne Goldes dienen.« – |
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Wie eine Säulenreihe saß |
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Der staunende Senat, und maß |
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Mit großen Augen still den Fremden auf und nieder. |
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Der Bürgermeister fand zuerst die Sprache wieder. |
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»Wer seyd ihr, edler Herr, der, uns ganz unbekannt, |
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Von Tonnen Goldes spricht, als wären ’s kahle Bohnen? |
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Nennt euern Namen, euern Stand! |
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Wie? Oder seyd ihr gar aus höhern Regionen |
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Zu unsrer Rettung her gesandt?« – |
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»Ich habe nicht die Ehre, dort zu wohnen. |
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Mit Fragen: wer und was ich sei? |
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Bitt’ ich mich überhaupt großgünstig zu verschonen. |
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Genug, ich habe Geld, wie Heu.« – |
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So prahlend, zog der Fremdling eine Katze |
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Voll Gold hervor, und sprach dann fort: |
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»Dieß Beutelchen erfüllt zum zehnten Theil mein Wort. |
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Den Rest schaff’ ich sogleich zu Platze. |
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Und all der Bettel ist und bleibt |
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Euch ganz geschenkt, wenn ihr das Seelchen mir verschreibt, |
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Das einst zuerst durch’s Thor des neuen Tempels schreitet, |
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Wenn man zu dessen Weihfest läutet.« – |
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Als wie durch Erderschütterung |
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Empor geschleudert von den Stühlen, |
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So fuhren schnell mit einem raschen Sprung |
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Die Senatoren auf, und rannten, stürzten, fielen |
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Ins fernste Winkelchen auf einen Klumpen hin, |
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Und nisteten so eng’ darin, |
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Wie scheue Lämmer, sich zusammen, |
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Wenn um sie her des Himmels Blitze flammen. |
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Nur Einer, der noch nicht sich selbst so ganz verlor, |
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Versammelte den Rest von seinen Sinnen, |
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Zog aus dem Menschenknaul den Kopf mit Müh’ hervor, |
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Und ächzte: »Hebe dich, du böser Geist, von hinnen!« – |
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Wer aber sich nicht hob, war Meister Urian. |
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Er spottete: »Was ihr euch doch geberdet! |
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Ist denn mein Gelderwerbungsplan |
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So übel, daß ihr drob zu schwachen Kindern werdet? |
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Ich büße bloß beim Handel ein, nicht ihr! |
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Mit Hunderttausenden brauch’ ich nicht weit zu laufen, |
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Um Schocke Seelchen zu erkaufen. |
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Von euch verlang’ ich nur ein einziges dafür. |
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Was macht ihr nun so lange Federlesens? |
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Man sieht euch an, daß ihr sehr kleine Herrscher seyd! |
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Zum Besten des gemeinen Wesens, |
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(Das oft auch nur den schönen Namen leiht) |
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Wär’ mancher Fürst wohl stracks bereit, |
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Ein ganzes Heer zur Schlachtbank hin zu führen; |
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Und ihr, ihr wollt deshalb nicht Einen Mann verlieren? |
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Pfui, schämet euch, hochweise Herr’n, |
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So abgeschmackt, so bürgerlich zu denken! |
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Und glaubet ihr etwa den Kern |
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Von euerm Völklein zu verschenken, |
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Wenn ihr mir ein Persönchen gönnt, |
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Das auf den ersten Ruf der Glock’ ins Bethaus rennt? |
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O nein, da fehlt ihr stark; denn wahrlich in der Regel |
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Sind Gleißner immerfort die frühsten Kirchenvögel.« – |
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Indem der Listige so sprach, |
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Ermannten sich die Rathsherr’n nach und nach, |
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Und raunten sich ins Ohr: »Was hilft uns unser Sträuben? |
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Der grimme Löwe fletscht nun einmal seinen Zahn. |
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Fürwahr, wenn wir nicht unterschreiben, |
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So packt er wohl uns selber an: |
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Drum stopfe lieber ihm das Maul ein Unterthan!« – |
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Kaum war hierauf der Blutkontrakt vollzogen, |
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Da kam durch Wand und Fenster in dem Saal |
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Ein Schwarm von Beuteln angeflogen, |
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Und Urian, der sich diesmahl, |
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Gesitteter als sonst, ganz ohne Stank empfahl, |
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Rief an der Thür: »Zählt nach! Ich hab’ euch nicht betrogen.« – |
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Das Gold der Hölle ward getreulich angewandt, |
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Das Haus des Himmels zu erbauen. |
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Als es jedoch in voller Schönheit stand, |
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Befiel die ganze Stadt beim Anblick Furcht und Grauen. |
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Gelobten damals gleich, da Urian verschwand, |
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Die Senatoren sich sofort mit Mund und Hand, |
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Den Vorfall Niemand zu vertrauen, |
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So klatschten ihn doch Zwei daheim den lieben Frauen, |
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Und ganz natürlich ward das Ding nun allbekannt. |
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Man seufzt’ und schwor von allen Seiten, |
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Den Tempel nimmer zu beschreiten. |
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Der sorgenvolle Rath sprach mit der Klerisei, |
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Und sie ließ eben so die Glatzenköpfe hangen. |
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Auf einmal rief ein Mönch: »Mir fällt ein Ausweg bei! |
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Die Jäger haben heut den bösen Wolf gefangen, |
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Der sich unlängst in das Gebiet der Stadt |
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Verlaufen, und darin herum gewüthet hat. |
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Hetzt diesen Mörder unsrer Schafe, |
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Zu seiner wohl verdienten Strafe, |
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Dem Teufel in den offnen Schlund! |
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Wird gleich dem argen Höllenhund |
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Dieß Frühstück eben nicht belieben, |
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So ziemt ihm doch, daß er es willig nimmt. |
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Ihr habt ein Seelchen ihm verschrieben; |
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Allein von wem? ist nicht bestimmt.« – |
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Das Pfaffenplänchen fand Behagen, |
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Und der Senat beschloß, den kühnen Streich zu wagen. |
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Da nun das Fest der Tempelweih’ erschien, |
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Gebot er, stracks den Wolf ans Hauptthor hin zu tragen, |
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Und als die Glocken jetzt begannen anzuschlagen, |
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Des Käfichs Fallthür aufzuziehn. |
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Wild stürzte sich das Opferthier der Hölle |
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Ins weite Kirchenschiff hinein. |
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Husch! flog Herr Urian von seiner Lauerstelle |
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Dumpf rauschend, wie ein Sturm, und pfeilschnell hintendrein, |
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Und schmetterte voll Wuth, weil man ihn hintergangen, |
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Das Thor von Erz so zu, daß seine Flügel sprangen. |
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Bis heute läßt man diesen Spalt |
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Von allen Reisenden begaffen, |
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Und triumphirt, daß eines Pfaffen |
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Verschmitztheit mehr, als Teufelspfiffe, galt. |
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Auch wird, damit es nicht an Ueberzeugung fehle, |
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Beim Kirchenthor der Wolf in Erz gezeigt, |
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Nebst seiner ewiglich verlornen armen Seele, |
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Die einem Tannenzapfen gleicht. |
Details zum Gedicht „Der Kirchenbau in Aachen“
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1796
Klassik
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht heißt „Der Kirchenbau in Aachen“ und wurde von August Friedrich Ernst Langbein verfasst, einem deutschen Dichter und Schriftsteller, der von 1757 bis 1835 lebte. Die zeitliche Einordnung des Werks kann somit in das 18. oder 19. Jahrhundert erfolgen.
Vom ersten Eindruck her ist das Gedicht inhaltlich reich und komplex, was durch seine Länge und die Vielfalt der angesprochenen Themen bedingt ist. Es liest sich wie eine historische Erzählung mit allegorischen Elementen und starker symbolischer Bedeutung.
Im Hinblick auf den Inhalt geht es um den Bau einer Kirche in Aachen, der aufgrund von Geldmangel ins Stocken gerät. Der Bau der Kirche wird letztlich durch einen unbekannten Mann ermöglicht, der viel Geld anbietet, allerdings eine ungewöhnliche Gegenleistung verlangt: Die Seele der ersten Person, die nach der Fertigstellung der Kirche diese betritt. Schließlich gelingt es den Einwohnern von Aachen, diesen unbekannten Spendengeber, den sie für den Teufel halten, zu überlisten, indem sie als erstes Lebewesen einen gefangenen Wolf in die Kirche schicken.
Die Aussage des lyrischen Ichs dreht sich um die Darstellung von moralischen und religiösen Konflikten, von Gier und Täuschung, sowie um die Kraft der Gemeinschaft und des menschlichen Einfallsreichtums. Das lyrische Ich scheint die Leser*innen auf die Gefahren von Materialismus und Unaufrichtigkeit hinzuweisen und gleichzeitig zum kritischen Denken und zur Vorsicht zu ermutigen.
Formal betrachtet handelt es sich um ein umfangreiches Gedicht mit strophischer Gliederung. Die Anzahl der Verse pro Strophe variiert, und das Versmaß und das Reimschema sind nicht stringent einheitlich. Der Sprachstil weist eine Mischung aus formellem und informellem Ton auf, inklusive literarischer Bilder und gelegentlich humorvoller Elemente. Dabei verwendet der Autor eine Kombination aus althergebrachter und eigener Ausdrucksweise.
Die Interpretation des Gedichts unterstreicht die Fähigkeit des Autors, mit Sprache und symbolischen Elementen zu spielen und komplexe Themen mit Tiefgang und Unterhaltungswert zu behandeln. Insgesamt bietet „Der Kirchenbau in Aachen“ einen faszinierenden Einblick in die komplexen Beziehungen zwischen Menschlichkeit, Religion, Moral und Gesellschaft.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Der Kirchenbau in Aachen“ ist August Friedrich Ernst Langbein. Langbein wurde im Jahr 1757 geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1796 zurück. Der Erscheinungsort ist Neustrelitz. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Klassik zu. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das 1042 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 154 Versen mit insgesamt 23 Strophen. Zum Autor des Gedichtes „Der Kirchenbau in Aachen“ haben wir auf abi-pur.de keine weiteren Gedichte veröffentlicht.
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