Das dürre Blatt von Nikolaus Lenau

Durchs Fenster kommt ein dürres Blatt,
Vom Wind hereingetrieben;
Dies leichte, offne Brieflein hat
Der Tod an mich geschrieben.
 
Das dürre Blatt bewahr' ich mir;
Will's in die Blätter breiten,
Die ich empfangen einst von Ihr;
Es waren schöne Zeiten!
 
Da draußen steht der Baum so leer;
10 
Wie er sein Blatt im Fluge,
11 
Kennt sie vielleicht ihr Blatt nicht mehr,
12 
Trotz ihrem Namenszuge.
 
13 
Der toten Liebe Worte flehn,
14 
Daß ich auch sie vernichte;
15 
Wie festgehaltne Lügner stehn
16 
Sie mir im Angesichte.
 
17 
Doch will ich nicht dem holden Wahn
18 
Den Wurf ins Feuer gönnen;
19 
Die Worte sehn mich traurig an,
20 
Daß sie nicht sterben können.
 
21 
Ich halte fest zu bittrer Lust,
22 
Was all mein Glück gewesen,
23 
In meinen schmerzlichen Verlust
24 
Will ich zurück mich lesen.
 
25 
Das dürre Blatt leg' ich dazu,
26 
Des Todes milde Kunde,
27 
Daß jedes Leiden findet Ruh
28 
Und Heilung jede Wunde.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.9 KB)

Details zum Gedicht „Das dürre Blatt“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
28
Anzahl Wörter
143
Entstehungsjahr
1802 - 1850
Epoche
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Das dürre Blatt“ wurde von Nikolaus Lenau geschrieben, einem bedeutenden lyrischen Dichter der Spätromantik in Österreich. Er lebte von 1802 bis 1850, Weswegen das Werk im 19. Jahrhundert verortet werden kann.

Auf den ersten Blick zeigt das Gedicht eine melancholische und schwermütige Stimmung, geprägt von Verlust und Trauer. Die Metapher des dürren Blattes, das durch das Fenster geweht wird, ist dominant.

Das lyrische Ich sieht in diesem naturhaften Phänomen eine persönliche Botschaft, einen Brief des Todes. Das Blatt wird aufbewahrt, verglichen mit Erinnerungen und Briefen einer geliebten Person. Es spiegelt eine tote Liebe wider, eine Vergangenheit, die in schönen Erinnerungen festgehalten wird, trotz der Schmerzen und dem Verlust, die sie hervorrufen. Das lyrische Ich reflektiert über den fortwährenden Schmerz und die Unfähigkeit zu vergessen oder loszulassen, und legt schließlich das dürre Blatt zu den Erinnerungen an die tote Liebe, als Zeichen des Todes, aber auch der Hoffnung auf Heilung jeder Wunde.

Das Gedicht hat eine einfache, aber ausdrucksstarke Form, bestehend aus sieben Strophen mit jeweils vier Versen, und ist in klassischem Reim geschrieben. Die Sprache ist säkular und zugleich emotional, mit starken metaphorischen Bildern und Symbolen. Die Verwendung von Naturbildern wie dem Baum und dem Blatt und die ständige Anspielung auf Tod und Verlust erzeugen eine düstere, melancholische Atmosphäre.

Zusammenfassend kann man sagen, dass „Das dürre Blatt“ ein tiefgründiges Gedicht über Verlust und Schmerz ist, das zeigt, wie das lyrische Ich mit den Erinnerungen und Gefühlen umgeht, die durch eine tote Liebe hervorgerufen werden. Es ist ein beeindruckendes Beispiel für Lenau’s Fähigkeit, tiefe Emotionen und existenzielle Themen in einfache, aber kraftvolle Bilder zu verwandeln.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Das dürre Blatt“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Nikolaus Lenau. Lenau wurde im Jahr 1802 in Csatád geboren. In der Zeit von 1818 bis 1850 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Biedermeier zuordnen. Lenau ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 143 Wörter. Es baut sich aus 7 Strophen auf und besteht aus 28 Versen. Nikolaus Lenau ist auch der Autor für Gedichte wie „An die Entfernte“, „An den Wind“ und „Schilflied“. Zum Autor des Gedichtes „Das dürre Blatt“ haben wir auf abi-pur.de weitere 51 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Nikolaus Lenau (Infos zum Autor)

Zum Autor Nikolaus Lenau sind auf abi-pur.de 51 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.