Als die Not am größten war von Maria Janitschek

Apfelbäumchen ist Braut geworden.
Im weißen Blütenkleide
Feiner als indische Seide,
Von Maienglast umsponnen,
Steht es in der Sonnen,
Und spricht dem Lenz sein: Ja!
 
Apfelbäumchen ist Mutter geworden,
Rotbäckchen trägt’s in den Armen,
Mit Lebenssäften, warmen,
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Hat es die Kindlein aufgenährt,
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König Sommer hat ihnen Schutz gewährt.
 
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Apfelbäumchen ist Witwe geworden.
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Der Lenz, der schöne Lenz ist tot,
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Die Kindlein sind fortgegangen.
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Es droht der Sturm im Abendrot,
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Die Aeste zittern und bangen.
 
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Apfelbäumchen ist Bettlerin worden.
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Dürr steht es da in der Einsamkeit,
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Und beugt sein Haupt in stummem Leid
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Ganz bloß und allen Schmuckes bar.
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Herbststürme zerrissen ihm das grüne Haar.
 
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Da tönt eine Stimme zu ihm:
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„So nackt und arm, von Frösten steif,
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Bist du für meine Güte reif.
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So kann ich in Wunder dich kleiden,
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Am Ueberfluß deine Armut weiden.“
 
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Und hoch aus dunkler Wolken Gefieder,
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Gleitet ein silberner Mantel nieder,
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Und hüllt das Dürftige sorglich ein.
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Und in der Adern neuem Regen
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Fühlt es des Schöpfers Frühlingssegen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.1 KB)

Details zum Gedicht „Als die Not am größten war“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
31
Anzahl Wörter
164
Entstehungsjahr
1892
Epoche
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Als die Not am größten war“ wurde von Maria Janitschek geschrieben, eine österreichisch-deutsche Schriftstellerin der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert.

Das Gedicht hinterlässt beim ersten Eindruck die Wahrnehmung verschiedener Lebensphasen, durch das personifizierte Bild eines Apfelbäumchens. Es scheint, als würde der Baum durch dieselben Höhen und Tiefen gehen, die auch Menschen erfahren: Freude, Wehmut, Verlust, Armut und letztlich Erlösung.

Im Detail analysieren wir jede Phase in den verschiedenen Strophen: Es beginnt mit dem Apfelbäumchen, das als Braut dargestellt wird, die sich im Frühling in voller Blüte befindet und ja zum Leben sagt (Strophe 1). Dann wird es zur Mutter, die während des Sommers Früchte trägt, die wie Kinder genährt werden (Strophe 2). Danach transformiert es sich in eine Witwe, die den Verlust und den Abschied - wahrscheinlich repräsentiert durch den Herbst - erlebt (Strophe 3). Bevor es schließlich zur Bettlerin im Winter wird, entblößt, kahl und scheinbar am Ende (Strophe 4).

Doch in der größten Not wird dem Baum wieder Hoffnung und Güte angeboten (Strophe 5). Dann wird der Baum in einen Mantel gehüllt und fühlt den Segen eines neuen Frühlings (Strophe 6), was die Erlösung und Renaissance symbolisiert.

Formal besteht das Gedicht aus sechs Strophen, von denen die meisten aus fünf Versen bestehen, mit Ausnahme der ersten Strophe, die sechs Verse umfasst. Die Sprache des Gedichts ist simpel, doch bedeutungsvoll, wobei es anthropomorphe Bilder verwendet, um das Leben des Apfelbäumchens zu personifizieren.

Über das Gedicht hinaus, könnte das lyrische Ich various Aspekte des Menschseins oder des Lebensprozesses zum Ausdruck bringen wollen – von der bewussten Akzeptanz des Lebens, über Mutterschaft und Verlust bis hin zu Armut und letztlich Erlösung.

Letztlich spiegelt das Gedicht die grundlegende Realität des Lebens und die Hoffnung, die selbst in der größten Not existiert, wider. Es erinnert uns daran, dass Schwierigkeiten überwunden werden können und oft der Weg für Erlösung und Erneuerung sind.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Als die Not am größten war“ stammt aus der Feder der Autorin bzw. Lyrikerin Maria Janitschek. 1859 wurde Janitschek in Mödling bei Wien geboren. 1892 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist München. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten der Autorin lassen eine Zuordnung zu den Epochen Naturalismus oder Moderne zu. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das 164 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 31 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Maria Janitschek ist auch die Autorin für das Gedicht „Pfingstgedanken“, „Triumph“ und „Gomorra“. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „Als die Not am größten war“ keine weiteren Gedichte vor.

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