Die Mumie von Hermann Lingg

Nach England wollten sie die Königsleiche,
Die Mumie bringen. Eingehüllt in Byssus,
Auf Palmenblättern lag der große Sieger;
Verkauft und hin und her geworfen er,
Der über hundert unterjochte Völker
Die Geißel einst geschwungen, er verkauft
Wie ein gemeiner Sklave – und es kam
Der finst're Sturm herangebraust, es drangen
Die krausgelockten Wellen, die Empörer
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Mit Ungestüm heran; sie warfen höhnend
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Den Sohn des Sonnenlandes nach der Küste
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Des ew'gen Eises, und ein Nordpolfahrer
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Nahm vom zerschellten Wrack des großen Schiffes,
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Das ihn getragen, seine Mumie auf. –
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Den Männern aber auf dem Boote schien
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Ein Stockfisch mehr wert als ein toter Herrscher;
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Sie setzten ihm auf einen Eisblock aus
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Und ließen ihn den Wellen und den Haien.
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Die Nacht um ihn glich der im Grabgewölbe
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Der Pyramiden, doch sie wurde plötzlich
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Vom Nordlicht überglüht; der Himmel stand
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In Flammenrot, und langsam schlug die Mumie
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Die Augen auf und sagte: Typhon ist es!
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Er will die Welt zerstören, Göttern ist
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Ein Jahr vorei, den Menschen ein Jahrtausend.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.8 KB)

Details zum Gedicht „Die Mumie“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
25
Anzahl Wörter
167
Entstehungsjahr
1820 - 1905
Epoche
Biedermeier,
Junges Deutschland & Vormärz,
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Mumie“ ist von Hermann Lingg, einem deutschen Dichter, der von 1820 bis 1905 lebte. Die Entstehungszeit des Gedichts ist nicht genau bekannt, aber es lässt sich in die Epoche des Realismus im 19. Jahrhundert einordnen.

Bei dem ersten Eindruck fallen die weite Reise der Mumie und ihre Aussetzung auf See auf. Der Text vermittelt ein Gefühl von Respektlosigkeit und Entwürdigung, die dem einst mächtigen König widerfahren.

Inhaltlich handelt das Gedicht von einer ägyptischen Königsleiche, die nach England gebracht werden soll, allerdings nach einem Sturm auf See verloren geht. Die Mumie, die einst über hundert Völker beherrschte, wird wie ein gewöhnlicher Sklave verkauft und während des Sturms von den Meuterern abgeworfen. Ein Nordpolfahrer nimmt die Mumie auf, die Besatzung des Bootes lässt sie jedoch auf einem Eisblock treiben. Bei dem Anblick des Nordlichts erwacht die Mumie zum Leben und prophezeit das Ende der Welt.

Das lyrische Ich in diesem Gedicht ist die Mumie selbst. Sie stellt eine Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart dar und beklagt ihre eigene Erniedrigung sowie den Verlust von Ehre und Respekt. Ihr Auferstehen und die Prophezeiung könnten als Warnung vor dem Missbrauch von Macht und Geschichte interpretiert werden.

Sprachlich ist das Gedicht in einer eher altertümlichen und gehobenen Sprache verfasst. Die Bilder des Gedichts sind sehr plastisch und eindrucksvoll, was einen fast manchmal unheimlichen, aber zugleich sehr atmosphärischen Eindruck erzeugt. Die Form des Gedichts ist auffallend, es besteht aus 25 Versen und nur einer Strophe. Die Verse sind nicht durchgängig gereimt, es gibt jedoch viele Enjambements, die für einen fließenden Rhythmus sorgen und das Geschehen dynamisch und lebendig wirken lassen. Die Verwendung von Metaphern und Symbolen verleiht dem Gedicht eine starke allegorische Tiefe.

Zusammengefasst handelt es sich bei Hermann Linggs „Die Mumie“ um ein Gedicht voller Symbolik und Ausdruckskraft, das zum Nachdenken anregt und die Leser dazu auffordert, über Themen wie Macht, Respekt und Geschichte zu reflektieren.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Die Mumie“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Hermann Lingg. 1820 wurde Lingg in Lindau am Bodensee geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1836 und 1905. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz, Realismus, Naturalismus oder Moderne zuordnen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das 167 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 25 Versen mit nur einer Strophe. Weitere bekannte Gedichte des Autors Hermann Lingg sind „Der schwarze Tod“, „Kleines Glück“ und „Ich liebte dich“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Mumie“ weitere 20 Gedichte vor.

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