Der Junggesell und der Mühlbach von Johann Wolfgang von Goethe

Gesell.
 
Wo willst du klares Bächlein hin,
So munter?
Du eilst mit frohem leichtem Sinn
Hinunter.
Was suchst du eilig in dem Thal?
So höre doch und sprich einmal!
 
Bach.
 
Ich war ein Bächlein, Junggesell;
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Sie haben
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Mich so gefaßt, damit ich schnell,
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Im Graben,
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Zur Mühle dort hinunter soll,
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Und immer bin ich rasch und voll.
 
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Gesell.
 
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Du eilest mit gelass’nem Muth
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Zur Mühle,
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Und weißt nicht, was ich junges Blut
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Hier fühle.
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Es blickt die schöne Müllerin
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Wohl freundlich manchmal nach dir hin?
 
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Bach.
 
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Sie öffnet früh bei’m Morgenlicht
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Den Laden,
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Und kommt, ihr liebes Angesicht
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Zu baden.
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Ihr Busen ist so voll und weiß;
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Es wird mir gleich zum Dampfen heiß.
 
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Gesell.
 
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Kann sie im Wasser Liebesgluth
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Entzünden;
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Wie soll man Ruh mit Fleisch und Blut
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Wohl finden?
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Wenn man sie Einmal nur gesehn,
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Ach! immer muß man nach ihr gehn.
 
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Bach.
 
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Dann stürz’ ich auf die Räder mich
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Mit Brausen,
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Und alle Schaufeln drehen sich
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Im Sausen.
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Seitdem das schöne Mädchen schafft,
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Hat auch das Wasser bess’re Kraft.
 
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Gesell.
 
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Du Armer, fühlst du nicht den Schmerz,
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Wie Andre?
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Sie lacht dich an, und sagt im Scherz:
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Nun wandre!
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Sie hielte dich wohl selbst zurück
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Mit einem süßen Liebesblick?
 
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Bach.
 
51 
Mir wird so schwer, so schwer vom Ort
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Zu fließen:
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Ich krümme mich nur sachte fort
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Durch Wiesen;
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Und käm’ es erst auf mich nur an,
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Der Weg wär’ bald zurückgethan.
 
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Gesell.
 
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Geselle meiner Liebesqual,
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Ich scheide;
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Du murmelst mir vielleicht einmal
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Zur Freude.
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Geh’, sag’ ihr gleich, und sag’ ihr oft,
63 
Was still der Knabe wünscht und hofft.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29 KB)

Details zum Gedicht „Der Junggesell und der Mühlbach“

Anzahl Strophen
18
Anzahl Verse
63
Anzahl Wörter
265
Entstehungsjahr
1827
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das vorgestellte Gedicht „Der Junggesell und der Mühlbach“ stammt von Johann Wolfgang von Goethe, einem der bekanntesten deutschen Literaten des 18. und 19. Jahrhunderts. Eine genaue zeitliche Einordnung ist schwierig, jedoch fällt das Werk in Goethes Schaffensperiode, welche sich über die Epoche des Sturm und Drang bis hin zur Weimarer Klassik erstreckt.

Auf den ersten Blick fällt auf, dass das Gedicht in Form eines Dialogs geschrieben ist, zwischen dem „Gesell“ - also einem Junggesellen - und einem „Bächlein“, welches als Mühlbach personifiziert wird. Beide Figuren haben eigene Abschnitte und Strophen, in denen sie jeweils ihre Gefühle, Anliegen und Gedanken teilen.

Inhaltlich thematisiert das Gedicht Sehnsucht und unerfüllte Liebe. Der Junggeselle sieht in dem Bächlein, das zur Mühle hinunterströmt, ein Sinnbild für seine eigenen Gefühle. Eine, vermutlich unerreichbare, Müllerin ist Objekt seiner Begierde. Beide, Bach und Junggeselle, sind von der Müllerin angezogen und fühlen sich zu ihr hingezogen, doch beide scheinen auch ihrer nicht habhaft zu werden: der Bach wird buchstäblich von ihr weggeleitet.

Die Form des Gedichtes zeigt eine Struktur, in der abwechselnd jeweils ein Ausdruck des „Gesell“ und dann des „Bachs“ dargestellt wird. Das Gedicht hat sowohl einen rhythmischen als auch einen Reimschema, welcher das Lesen angenehm und fließend macht.

Die Sprache ist typisch für Goethes Werke: einfühlsam, bildreich und emotional. Goethe verwendet personifizierte Bilder, wie dass des Bächleins, um Emotionen und Stimmungen zu verstärken. Die Konversation zwischen dem Junggeselle und dem Bach ermöglicht es Goethe, unterschiedliche Perspektiven und Gefühle darzustellen, wodurch das Gedicht eine besondere Tiefe erhält.

Insgesamt ist „Der Junggesell und der Mühlbach“ ein Beispiel für Goethes Fähigkeit, emotionale und menschliche Zustände in bildreiche und tiefgründige Poesie zu verpacken. Es zeigt seine Meisterschaft im Erzählen von Geschichten, die sowohl einfach genug für den alltäglichen Leser als auch komplex genug für eingehende literarische Analysen sind. Es geht unter anderem um unerwiderte Liebe, Sehnsucht und das menschliche Dasein - Themen, die typisch für Goethes Werk sind.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der Junggesell und der Mühlbach“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Wolfgang von Goethe. 1749 wurde Goethe in Frankfurt am Main geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1827. In Stuttgart und Tübingen ist der Text erschienen. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Bei Goethe handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Als Sturm und Drang (auch Genieperiode oder Geniezeit) bezeichnet man eine Literaturepoche, die auf die Jahre 1765 bis 1790 datiert werden kann. Sie knüpfte an die Empfindsamkeit an und ging später in die Klassik über. Die Epoche des Sturm und Drang war die Phase der Rebellion junger deutscher Autoren, die sich gegen das gesellschaftliche System und die Prinzipien der Aufklärung wendeten. Bei den Vertretern der Epoche des Sturm und Drang handelte es sich vorwiegend um junge Autoren. Um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Vorschein zu bringen, wurde besonders darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Die traditionellen Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit der Hinwendung Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.

Johann Wolfgang von Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar) ist einer der populärsten Dichter der Weimarer Klassik. Im Jahr 1786 unternahm Goethe eine Italienreise, diese wird heute als Beginn der Weimarer Klassik angesehen. Das Ende der Literaturepoche ist im Jahr 1832 auszumachen. Die Weimarer Klassik wird oft nur als Klassik bezeichnet. Beide Bezeichnungen sind in der Literatur gebräuchlich. Statt auf Konfrontation und Widerspruch wie noch in der Aufklärung oder im Sturm und Drang strebte die Klassik nach Harmonie. Die wichtigsten Werte sind Toleranz und Menschlichkeit. Die Klassik orientierte sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. Ziel der Klassik war es die ästhetische Erziehung des Menschen zu einer „charakterschönen“ Persönlichkeit voranzutreiben. In der Gestaltung wurde das Gesetzmäßige, Wesentliche, Gültige sowie der Ausgleich und die Harmonie gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache häufig roh und derb ist, bleibt die Sprache in der Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Goethe, Schiller, Herder und Wieland bildeten das „Viergestirn“ der Klassik. Es gab natürlich auch noch andere Autoren, die typische Werke veröffentlichten, doch niemand übertraf die Fülle und die Popularität dieser vier Autoren.

Das 265 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 63 Versen mit insgesamt 18 Strophen. Die Gedichte „An den Mond“, „An den Schlaf“ und „An den Selbstherscher“ sind weitere Werke des Autors Johann Wolfgang von Goethe. Zum Autor des Gedichtes „Der Junggesell und der Mühlbach“ haben wir auf abi-pur.de weitere 1618 Gedichte veröffentlicht.

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