Der Hünenstein von Heinrich Kämpchen
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Vom Mechtenberg ¹) der Hüne |
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Schloß einen Freundschaftsbund |
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Mit dem vom Tippelsberge ²), |
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Die Sage gibt es kund. |
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Gemeinsam hielten beide |
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Gelag’ und Kumpanei, |
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Doch auch zur Arbeit kamen |
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Gemeinsam sie herbei. – |
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Sie buken und sie brauten |
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Befreundet Brot und Bier, |
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Der eine bei dem andern, |
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Abwechselnd dort und hier. |
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Und mußten neu sie backen, |
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Derweil der Vorrat bar, |
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So wurde Bäckermeister, |
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An dem die Reihe war. – |
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Er schürte dann den Ofen |
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Mit Scheiten klobig rauh |
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Und prüfte seine Hitze |
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Bedachtsam und genau. |
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Und war der Ofen fertig, |
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Zu heiß nicht und zu schal, |
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Dann gab der wack’re Hüne |
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Dem Freunde das Signal. |
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Doch nicht durch Hornesstoße, |
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So wie es Roland pflog – |
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Er kratzte nur die Reste |
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Des Brotteigs aus dem Trog. – |
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Doch klang’ auch dieses Kratzen |
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Nicht ganz gelind’ und leis’, |
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Die Hünenkraft, die starke, |
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Gab ihm die rechte Weis’. – |
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Wie lauter Donner dröhnte |
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Weit, weit hinaus der Schall, |
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Der and’re aber hörte |
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Auf seiner Burg den Hall. |
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Er wußte, daß der Ofen |
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Zum Einstich jetzt bereit |
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Und säumte nicht und brachte |
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Das Brot zur rechten Zeit. – |
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So hatten sie seit Jahren |
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Zusammen treu geschafft, |
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Da kam der Tag, der böse, |
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Der alles fortgerafft. – |
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Der ihrem Freundschaftsbunde |
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Jäh gab den Todesstoß – |
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Und war die Ursach’ nichtig |
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Die Wirkung sie war groß. – |
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Sie mußten wieder backen, |
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Und treu nach dem Vertrag |
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War auf dem Mechtenberge |
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Für diesmal Bäckertag. – |
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Hier regten sich geschäftig |
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Schon Herre und Gesind’, |
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Doch auf dem Tippelsberge |
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Blies nicht derselbe Wind. – |
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Verdrießlich war der Hüne |
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Am Morgen aufgewacht, |
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Er hatte schwer gebechert |
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Am Abend vor der Nacht. – |
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Noch lag’s ihm in den Gliedern |
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Wie Blei von dem Gelag’, |
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Doch mußte er sich rühren, |
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Weil heute Bäckertag. – |
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So kam’s, daß nicht von statten |
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Ihm heut’ die Arbeit ging |
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Und trotz des vielen Schweißes |
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Doch der Erfolg gering. – |
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Daß ihm die Fäuste müde, |
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Die Arme lahm und schlaff, |
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Und daß der Teig noch immer |
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Nicht fertig war im Haff. – |
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Und plötzlich hallt ein Dröhnen |
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Wie Donner durch die Luft – |
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Das ist der Mechtenberger, |
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Der ihn zum Einstich ruft. |
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Nun darf er nimmer säumen, |
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’s ist höchste Eile not, |
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Und ob der Teig nicht fertig, |
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Und wird gleich schlecht das Brot. |
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Und wieder hallt ein Dröhnen, |
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Und stärker noch wie vor, |
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Schon ist der Hüne draußen, |
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Weit von des Schlosses Tor. – |
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Und mißt er sonst die Strecke |
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In hundert Sprüngen ab, |
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Heut’ werden’s kaum noch fünfzig, |
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So läuft der Riese Trab. – |
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Noch nie zum Mechtenberge |
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Hat so sein Fuß gerannt, |
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Doch war die Eile nutzlos, |
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Wie er zu spät erkannt. – |
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Noch war der Teig nicht fertig, |
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Der Ofen nicht bereit, |
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Er hätte warten können |
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Noch stundenlange Zeit. – |
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„Warum“, brüllt er im Grimme, |
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„Hast du mich so geneckt, |
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Und an dem Trog gescharret, |
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Wo nichts dahinter steckt? – |
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Nun ist mein Brot verdorben |
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Durch deine Schuld allein, |
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Warum gabst du das Zeichen |
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Lang’ vor dem Fertigsein?“ – |
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Da lacht der Mechtenberger, |
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Daß fast das Zwerchfell platzt: |
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„Ich hab’, weil es mich juckte, |
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Die Rippen nur gekratzt. – |
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Sonst ist kein Laut gekommen |
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Von meiner Burg zu dir, |
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Wenn and’res du vernommen, |
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Was kann denn ich dafür?“ – |
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„Genug! Zu viel!“ Der Tippel |
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Hat’s heiser nur gestöhnt, |
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Dann ist er fortgestürmet, |
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Daß laut die Halle dröhnt. – |
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Und wiederum in Sprüngen |
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Jagt er den Weg zurück, |
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Doch stößt ihm jetzt die Rache |
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Die Sporen ins Genick. – |
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Schon nah’ dem Tippelsberge, |
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Hemmt plötzlich er den Lauf, |
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Ein Felsblock liegt am Wege, |
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Er hebt ihn grimmig auf |
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Und dann mit starkem Schwunge, |
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Dem Hünen kracht’s Gebein, |
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Fort schleudert er in Lüften |
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Den ungeheuren Stein. – |
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Wär’ nicht sein Fuß gestrauchelt, |
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Indem der Wurf geschah, |
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Dann weh’ dem Mechtenberger! |
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Das Unheil war’ ihm nah’. – |
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Es hätte ihn zerschmettert |
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Das riesige Geschoß, |
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So aber schlug es nieder |
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Noch hart vor seinem Schloß. – |
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Das kündet uns die Sage – |
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Auch liegt am Wegesrain |
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Zu Ueckendorf noch heute |
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Der große Hünenstein. – |
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Still zeugt der Felsenriese, |
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Aus Tagen alt und grau, |
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Noch von den Enakssöhnen |
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In uns’rem Heimatgau. – |
Details zum Gedicht „Der Hünenstein“
Heinrich Kämpchen
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1909
Moderne
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht „Der Hünenstein“ stammt von dem deutschen Dichter und Schriftsteller Heinrich Kämpchen, geboren am 23. Mai 1847, verstorben am 6. März 1912. Kämpchen verfasste in seinem Schaffen vor allem Heimat- und Mundartdichtungen und ist als Vertreter der westfälischen Heimatdichtung einzuordnen.
Beim Lesen des Gedichtes wird eine bildhafte, erzählende Geschichte der beiden Hünen aus dem Mechtenberg und dem Tippelsberg vermittelt. Diese beiden treten als personifizierte Landschaftsmerkmale auf und heben die lokale Verwurzelung der Sage hervor.
Die Verse schildern eine Freundschaft zwischen den beiden Hünen, die durch ein Missverständnis, das zu einem Wurf eines riesigen Steins führt, abrupt endet. Einerseits zeigt das Gedicht eine harmonische Verbundenheit in Arbeit und Freizeit der beiden Hünen, wie sie gemeinsam Brot backen und Bier brauen, andererseits wird diese Harmonie durch einen Streit zerstört. Darin thematisiert das Werk einerseits die Bedeutung guter Kommunikation und des Vertrauens in Freundschaften, und andererseits auch die tragischen Konsequenzen von Missverständnissen.
Die Sprache des Gedichts ist bildreich und erzählerisch. Kämpchen nutzt einen regulären Rhythmus und einen stringenten Reim, um die Handlungen und Gefühle des Hünen zu schildern. Dadurch entsteht eine eindringliche Atmosphäre und ein Spannungsbogen, der den Leser in die Geschichte zieht. Jede Strophe enthält dabei acht Verse, wodurch die Geschichte in verschiedene, kleine Abschnitte unterteilt wird und sich so eine Art „Erzählrhythmus“ bildet.
Zusammenfassend handelt es sich bei „Der Hünenstein“ um ein Beispiel der Heimatdichtung, das eine regional verankerte Sage erzählt und durch seine erzählerische Struktur, seinen gebundenen Vers und seine eindeutige Sprache besticht. Es vermittelt eine Moral von Freundschaft, Vertrauen und Kommunikation und hält gleichzeitig die Erinnerung an regionale Legenden und Gebräuche lebendig. Dabei nutzt der Autor die poetischen Mittel der Versform und des Reims, um Struktur und Rhythmus in die Erzählung zu bringen.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Der Hünenstein“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Heinrich Kämpchen. Geboren wurde Kämpchen im Jahr 1847 in Altendorf an der Ruhr. Im Jahr 1909 ist das Gedicht entstanden. Bochum ist der Erscheinungsort des Textes. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Moderne zuordnen. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 659 Wörter. Es baut sich aus 18 Strophen auf und besteht aus 144 Versen. Die Gedichte „Am Rhein“, „Am Weinfelder Maar“ und „Am goldenen Sonntag“ sind weitere Werke des Autors Heinrich Kämpchen. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Hünenstein“ weitere 165 Gedichte vor.
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- Am Marienbrönnlein
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- Am Weinfelder Maar
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Zum Autor Heinrich Kämpchen sind auf abi-pur.de 165 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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