Chidher von Friedrich Rückert

Chidher, der ewig junge, sprach:
Ich fuhr an einer Stadt vorbei,
Ein Mann im Garten Früchte brach;
Ich fragte, seit wann die Stadt hier sei?
Er sprach und pflückte die Früchte fort:
?Die Stadt steht ewig an diesem Ort
Und wird so stehen ewig fort." ?
Und aber nach fünfhundert Jahren
Kam ich desselbigen Wegs gefahren.
 
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Da fand ich keine Spur der Stadt;
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Ein einsamer Schäfer blies die Schalmei,
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Die Herde weidete Laub und Blatt;
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Ich fragte, wie lange die Stadt vorbei?
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Er sprach und blies auf dem Rohre fort:
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?Das Eine wächst, wenn das Andre dorrt;
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Das ist mein ewiger Weideort." ?
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Und aber nach fünfhundert Jahren
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Kam ich desselbigen Wegs gefahren.
 
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Da fand ich ein Meer, das Wellen schlug,
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Ein Fischer warf die Netze frei;
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Und als er ruhte vom schweren Zug,
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Fragt' ich, seit wann das Meer hier sei?
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Er sprach und lachte meinem Wort:
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?So lang, als schäumen die Wellen dort,
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Fischt man und fischt in diesem Port." ?
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Und aber nach fünfhundert Jahren
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Kam ich desselbigen Wegs gefahren.
 
28 
Da fand ich einen waldigen Raum
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Und einen Mann in der Siedelei,
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Er fällt mit der Axt den Baum;
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Ich fragte, wie alt der Wald hier sei.
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Er sprach: ?Der Wald ist ein ewiger Hort!
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Schon ewig wohn ich an diesem Ort,
34 
Udn ewig wachsen die Bäume fort." ?
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Und aber nach fünfhundert Jahren
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Kam ich desselbigen Wegs gefahren.
 
37 
Da fand ich eine Stadt, und laut
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Erschallte der Markt vom Volksgeschrei.
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Ich fragte: Seit wann ist die Stadt erbaut,
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Wohin ist Wald und Meer und Schalmei?
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Sie schrien und hörten nicht mein Wort:
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?So ging es ewig an diesem Ort
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Und wird so gehen ewig fort."
44 
Und aber nach fünfhundertt Jahren
45 
Will ich desselbigen Weges fahren.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.7 KB)

Details zum Gedicht „Chidher“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
45
Anzahl Wörter
285
Entstehungsjahr
1788 - 1866
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Chidher“ wurde von Friedrich Rückert geschrieben, einem deutschen Dichter und Übersetzer, der von 1788 bis 1866 lebte. Er wird der Epoche der Romantik zugeordnet, obwohl er auch Einflüsse von Klassik und Biedermeier aufweist.

Im Gedicht wird die Geschichte von „Chidher, der ewig junge“ erzählt. Er durchquert immer wieder denselben Weg und erlebt dabei die Vergänglichkeit und ständigen Wandel der Welt. In fünf Strophen von jeweils neun Versen erzählt er von seinen Erlebnissen, die sich im Laufe von jeweils fünfhundert Jahren verändern: Zuerst findet er eine Stadt, dann eine Weide, dann ein Meer, dann einen Wald und schließlich wieder eine Stadt.

Das Gedicht gibt einen Einblick in den Kreislauf des Lebens, von Aufbau, Wandel und Vergänglichkeit. Die Vergänglichkeit wird durch den stetigen Wechsel von Stadt, Weide, Meer und Wald widergespiegelt, während der ewige Wiederanfang durch das Auftauchen einer neuen Stadt nach fünfhundert Jahren symbolisiert wird.

Es wird klar, dass das lyrische Ich, also Chidher, als ewiger Beobachter dieser Veränderungen agiert und die Zyklen der Zeit und des Lebens erfährt. Es scheint, dass er die einzige Konstante in dieser sich ständig verändernden Welt ist.

Die Sprache des Gedichts ist klar und direkt, die Verse sind in Endreimen abgefasst und folgen einem strengen metrischen Muster. Die Strophen weisen eine einheitliche Struktur mit neun Versen auf und jede Strophe endet mit dem gleichen Vers „Und aber nach fünfhundert Jahren kam ich desselbigen Wegs gefahren“ wodurch der Kreislauf und die Wiederholung des Lebens unterstrichen wird.

Das Gedicht stellt auch eine Reflexion des menschlichen Lebens dar, die Veränderung, Kontinuität und das flüchtige Verständnis der Ewigkeit widerspiegeln. Die Figuren im Gedicht - der Gärtner, der Schäfer, der Fischer, der Waldbewohner und schließlich die Bewohner der Stadt - repräsentieren verschiedene Facetten und Stadien des Lebens und der menschlichen Existenz, während Chidher als unveränderlicher Beobachter dient, der die Veränderungen der Welt wahrnimmt, aber nicht von ihnen berührt wird. Zusammengefasst ist „Chidher“ ein tiefschürfendes Gedicht, das tiefgründige Beobachtungen über die Natur des Lebens und der Zeit bietet.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Chidher“ ist Friedrich Rückert. Der Autor Friedrich Rückert wurde 1788 in Schweinfurt geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1804 bis 1866 entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz oder Realismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das Gedicht besteht aus 45 Versen mit insgesamt 5 Strophen und umfasst dabei 285 Worte. Friedrich Rückert ist auch der Autor für Gedichte wie „Der trübe Tag“, „Des fremden Kindes heiliger Christ“ und „Herbstblumen“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Chidher“ weitere 102 Gedichte vor.

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