Normännerlied von Joseph Victor von Scheffel

Der Abend kommt, und die Herbstluft weht,
Reifkälte spinnt umd die Tannen,
O Kreuz und Buch und Mönchsgebet –
Wir müssen alle von dannen.
 
Die Heimat wird dämmernd und dunkel und alt,
Trüb rinnen die heiligen Quellen:
Du götterumschwebter, du grünender Wald,
Schon blitzt die Axt, dich zu fällen!
 
Und wir ziehen stumm, ein geschlagen Heer,
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Erloschen sind unsere Sterne –
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O Island, du eisiger Fels im Meer,
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Steig auf aus nächtiger Ferne.
 
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Steig auf und empfah unser reisig Geschlecht –
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Auf geschnäbelten Schiffen kommen
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Die alten Götter, das alte Recht,
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Die alten Nordmänner geschwommen.
 
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Wo der Feuerberg loht, Glutasche fällt,
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Sturmwogen die Ufer umschäumen,
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Auf dir, du trotziges Ende der Welt,
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Die Winternacht woll'n wir verträumen!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.5 KB)

Details zum Gedicht „Normännerlied“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
20
Anzahl Wörter
117
Entstehungsjahr
1826 - 1886
Epoche
Biedermeier,
Junges Deutschland & Vormärz,
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Normännerlied“ ist vom deutschen Poeten und Schriftsteller Joseph Victor von Scheffel, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte und wirkte. Bei der ersten Betrachtung macht das Gedicht mit seiner düsteren, melancholischen und gleichzeitig kraftvollen Sprache einen sehr starken Eindruck.

Der Inhalt des Gedichts dreht sich um die Nordmänner, also die Wikinger, die angesichts des hereinbrechenden Abends und der Winterkälte gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Sie ziehen fort wie ein geschlagenes Heer und wenden sich hoffnungsvoll an Island, „den eisigen Fels im Meer“, mit der Bitte, sie aufzunehmen. Ihre alte Kultur und ihre Götter nehmen sie mit auf ihre Reise und hoffen darauf, in der unwirtlichen Landschaft Islands einen Ort für den Traum der „Winternacht“ zu finden.

Durch seine Beschreibung der Naturerscheinungen verleiht Scheffel dem Gedicht eine Stimmung der Melancholie und des Untergangs, die mit den Motiven des Abschieds und des Aufbruchs verschmelzen. Das lyrische Ich drückt hierbei tiefen Schmerz über den Verlust der Heimat und gleichzeitig den Wunsch und die Hoffnung auf einen Neuanfang an einem anderen Ort aus.

Formal handelt es sich bei „Normännerlied“ um ein regelmäßiges vierstrophiges Versmaß. Auf Sprachebene ist das Gedicht stark bildhaft und metaphorisch, was typisch für die Dichtung des 19. Jahrhunderts ist. Die verwendete Symbolik ist hauptsächlich der nordischen Mythologie entnommen, woraus die Identifikation des lyrischen Ichs mit den Nordmännern hervorgeht.

So entsteht ein Bild der nordischen Kultur und Kämpfernatur, die trotz Rückschlägen unbeirrt ihren Weg verfolgt. Scheffel unterstreicht damit die Hartnäckigkeit und Stärke des nordischen Volkes und stellt es als Symbol für Widerstandsfähigkeit und Unbeugsamkeit dar. Diese Interpretation wird durch die wiederholte Erwähnung der „alten Götter“ und des „alten Rechts“ gestützt, welche für die kulturelle Identität der Nordmänner und ihren Willen zum Überleben trotz widriger Umstände stehen.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Normännerlied“ des Autors Joseph Victor von Scheffel. 1826 wurde Scheffel in Karlsruhe geboren. In der Zeit von 1842 bis 1886 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz, Realismus oder Naturalismus zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 117 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 20 Versen. Weitere Werke des Dichters Joseph Victor von Scheffel sind „Nun liegt die Welt umfangen“, „Aus dem Trompeter von Säkkingen“ und „Der Jungbrunnen“. Zum Autor des Gedichtes „Normännerlied“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 12 Gedichte vor.

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