Der Graben von Kurt Tucholsky

Mutter, wozu hast du deinen aufgezogen?
Hast dich zwanzig Jahr mit ihm gequält?
Wozu ist er dir in deinen Arm geflogen,
und du hast ihm leise was erzählt?
Bis sie ihn dir weggenommen haben.
Für den Graben, Mutter, für den Graben.
 
Junge, kannst du noch an Vater denken?
Vater nahm dich oft auf seinen Arm.
Und er wollt dir einen Groschen schenken,
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und er spielte mit dir Räuber und Gendarm.
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Bis sie ihn dir weggenommen haben.
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Für den Graben, Junge, für den Graben.
 
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Drüben die französischen Genossen
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lagen dicht bei Englands Arbeitsmann.
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Alle haben sie ihr Blut vergossen,
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und zerschossen ruht heut Mann bei Mann.
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Alte Leute, Männer, mancher Knabe
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in dem einen großen Massengrabe.
 
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Seid nicht stolz auf Orden und Geklunker!
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Seid nicht stolz auf Narben und die Zeit!
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In die Gräben schickten euch die Junker,
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Staatswahn und der Fabrikantenneid.
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Ihr wart gut genug zum Fraß für Raben,
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für das Grab, Kamraden, für den Graben!
 
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Werft die Fahnen fort!
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Die Militärkapellen
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spielen auf zu Euerm Todestanz.
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Seid Ihr hin: ein Kranz von Immortellen -
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das ist dann der Dank des Vaterlands.
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Denkt an Todesröcheln und Gestöhne.
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Drüben stehen Väter, Mütter, Söhne,
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schuften schwer, wie Ihr, ums bißchen Leben.
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Wollt Ihr denen nicht die Hände geben?
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Reicht die Bruderhand als schönste aller Gaben
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übern Graben, Leute, übern Graben −!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.3 KB)

Details zum Gedicht „Der Graben“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
35
Anzahl Wörter
218
Entstehungsjahr
1926
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Der Autor dieses Gedichts ist Kurt Tucholsky, ein prominenter deutsch-jüdischer Journalist, Satiriker und Schriftsteller in der Weimarer Republik. Geboren am 9. Januar 1890, verstarb Tucholsky am 21. Dezember 1935. In Anbetracht seiner Lebenszeit passt das Gedicht „Der Graben“ in den Kontext des Ersten Weltkriegs und dessen Nachwehen.

Schon beim ersten Betrachten des Gedichts wird klar, dass es sich um eine Anklage gegen den Krieg und seine verheerenden Folgen handelt. Es beschreibt das Leid und den Schmerz der Hinterbliebenen - Mütter und Väter, die ihre Söhne verloren haben.

Der Inhalt des Gedichts erzählt vom tragischen Schicksal der Soldaten und deren Familien im Krieg. In den ersten beiden Strophen wird die tiefe Trauer der Mutter und des Vaters beschrieben, die ihr Kind im Krieg verloren haben. Der Kontrast des tröstenden, idyllischen Alltags zur brutalen Realität des Kriegs wird betont. In den folgenden Strophen weitet sich die Perspektive und zeigt das Leid, das über nationale Grenzen hinaus geht. Der Krieg wird als Produkt von Macht- und Wohlstandsinteresse gesehen. Die letzte Strophe endet mit einem Aufruf zur Bruderschaft und Frieden.

Die Form des Gedichts ist klar und präzise, mit einer regulären Strophenstruktur und einer konsistenten Anzahl von Versen pro Strophe. Tucholskys Sprache ist direkter und bildhafter Natur, was dem emotionalen Gehalt des Gedichts dient. Die wiederholte Verwendung des Wortes „Graben“ dient hier nicht nur als Schlüsselbegriff, sondern symbolisiert auch das gemeinsame Grab aller gefallenen Soldaten, unabhängig von ihrer Nationalität.

Alles in allem ist „Der Graben“ ein kraftvolles Antikriegsgedicht Tucholskys. Er verwendet einfache, aber kraftvolle Bilder und Worte, um das Leid und den Schmerz des Krieges zu verdeutlichen und gleichzeitig einen Appell für Frieden und Verbrüderung zu senden.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Der Graben“ des Autors Kurt Tucholsky. 1890 wurde Tucholsky in Berlin geboren. Im Jahr 1926 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zuordnen. Der Schriftsteller Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Wichtigen geschichtlichen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik hatten der Erste Weltkrieg und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Weimarer Republik. Neue Sachlichkeit ist eine Richtung der Literatur der Weimarer Republik. In den Werken dieser Epoche ist die zwischen den Weltkriegen hervortretende Tendenz zu illusionsloser und nüchterner Darstellung von Gesellschaft, Technik, Weltwirtschaftskrise aber auch Erotik deutlich erkennbar. Man kann dies auch als Reaktion auf den literarischen Expressionismus werten. Die Handlung wurde meist nur kühl und distanziert beobachtet. Die Dichter orientierten sich an der Realität. Mit einem Minimum an Sprache wollte man ein Maximum an Bedeutung erreichen. Mit den Texten sollten so viele Menschen wie möglich erreicht werden. Deshalb wurde darauf geachtet eine nüchterne sowie einfache Alltagssprache zu verwenden. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung eines Politikers das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht in der Fremde suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk in ihrer Heimat bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist politische oder religiöse Gründe den Ausschlag. Die deutsche Exilliteratur entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten zum Beispiel die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten in den Jahren 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die Exilliteratur bildet eine eigene Epoche in der deutschen Literaturgeschichte. Sie schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an. Themen wie Verlust der eigenen Kultur, existenzielle Probleme, Sehnsucht nach der Heimat oder Widerstand gegen das nationalsozialistische Deutschland sind typisch für diese Literaturepoche. Anders als andere Literaturepochen, die zum Beispiel bei der formalen Gestaltung (also in Sachen Metrum, Reimschema oder dem Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel) ganz charakteristische Merkmale aufweisen, ist die Exilliteratur nicht durch bestimmte formale Merkmale gekennzeichnet. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Literaturepoche geboren wurden. Das epische Theater von Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Flugblätter und Radioreden der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten zu erwähnen. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das vorliegende Gedicht umfasst 218 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 35 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Kurt Tucholsky sind „All people on board!“, „Also wat nu – ja oder ja?“ und „An Lukianos“. Zum Autor des Gedichtes „Der Graben“ haben wir auf abi-pur.de weitere 136 Gedichte veröffentlicht.

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