Der Gewinn des Lebens von Johann Gottfried Herder

Am kühlen Bach, am luftgen Baum
Träum’ ich nun meines Lebens Traum;
Und mag nicht wissen, ob die Welt,
Wie ich mir träume, sei bestellt:
Denn ach! ist der wohl mehr beglückt,
Der, daß sie nicht so sei, erblickt?
 
Ich ging einmal der Weisheit nach
Und hörte, was die Weisheit sprach.
Sie sprach so Viel- und Mancherlei,
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Was einst die Welt gewesen sei
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Und jetzt nicht ist und sehr verirrt
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Wohl nimmer, nimmer werden wird.
 
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Ich grämte mich und ging im Gram,
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Als mir der Ruhm entgegen kam.
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Dir, sprach er, Sohn, dir ist beschert,
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Zu räumen weg, was dich beschwert.
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Ich räumte, wollte vor mich sehn;
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Allein die Felsen blieben stehn.
 
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Ermattet, ohne Gram und Zorn
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Sucht’ ich nun Rosen unterm Dorn.
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Die Rosen, ach! entfärbten sich
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Und ihre Dornen stachen mich -
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Zwei Knöspchen unter allen hier
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Lieb’ und die Freundschaft blieben mir.
 
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Am kühlen Bach, am luftgen Baum
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Träum’ ich nun meines Lebens Traum.
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Die beiden Knöspchen pfleg’ ich mir
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Und weihe sie, o Sonne, Dir!
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Komm, kühler Bach, erquicke sie!
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Komm, süßes Lüftchen, stärke sie!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.9 KB)

Details zum Gedicht „Der Gewinn des Lebens“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
179
Entstehungsjahr
1787
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Gewinn des Lebens“ wurde von Johann Gottfried Herder verfasst, einem bedeutenden Dichter und Philologen der deutschen Aufklärung und Frühromantik. Herder lebte und wirkte im 18. Jahrhundert und war ein Wegbereiter der Weimarer Klassik.

Beim ersten Lesen fällt ein ruhiger, nachdenklicher Ton auf. Das lyrische Ich scheint sich in der Natur aufzuhalten und seinem Lebenstraum nachzuhängen.

Inhaltlich beschäftigt sich der Sprecher im Gedicht zunächst mit der Frage, ob die Welt so ist, wie er sie sich vorstellt und ob es besser ist, wenn man weiß, dass sie nicht so ist. Er erinnert sich an eine vergangene Zeit, wo er den Wegen der Weisheit folgte, jedoch angesichts der gewonnenen Erkenntnisse ins Grübeln geriet. Er versuchte daraufhin, den von ihm als belastend empfundenen Zustand zu ändern, was ihm jedoch nicht gelingt. Erschöpft sucht er anschließend Trost und findet ihn in der Liebe und Freundschaft. Er kehrt zurück zur Eingangs beschriebenen sorglosen Träumerei und widmet sich nun der Pflege der Liebe und Freundschaft, die er als Überbleibsel seiner Anstrengungen betrachtet.

Die Aussage des Gedichts bezieht sich auf den Prozess des Heranwachsens und des Bewusstwerdens von der Komplexität der Welt. Es zeigt den Weg des lyrischen Ichs von der jugendlichen Träumerei über das Streben nach Weisheit und Ruhm, bis hin zur der Erkenntnis, dass wahres Glück in den einfachen Dingen des Lebens, in diesem Fall in Liebe und Freundschaft, zu finden ist.

Die Struktur des Gedichts besteht aus fünf Strophen à sechs Versen, was eine durchgängige und klare Form erzeugt. Die Sprache ist einfühlsam und bildhaft, wobei der Autor die Natur als Metapher nutzt, um den inneren Zustand des lyrischen Ichs und dessen Suche nach Zufriedenheit und Glück darzustellen. Die Wiederholung des Anfangs am Schluss des Gedichts erzeugt einen Kreis, der den Eindruck der Vollendung und des inneren Friedens verstärkt, den das lyrische Ich schlussendlich findet.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Der Gewinn des Lebens“ ist Johann Gottfried Herder. Geboren wurde Herder im Jahr 1744 in Mohrungen (Ostpreußen). Das Gedicht ist im Jahr 1787 entstanden. Der Erscheinungsort ist Gotha. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zu. Bei dem Schriftsteller Herder handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Zwischen den Epochen Empfindsamkeit und Klassik lässt sich in den Jahren zwischen 1765 und 1790 die Strömung Sturm und Drang einordnen. Geniezeit oder zeitgenössische Genieperiode sind häufige Bezeichnungen für diese Literaturepoche. Die wesentlichen Merkmale des Sturm und Drang lassen sich als ein Auflehnen oder Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung zusammenfassen. Das philosophische und literarische Leben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die Literatur sollten dadurch maßgeblich beeinflusst werden. Die Vertreter der Epoche des Sturm und Drang waren häufig junge Autoren im Alter zwischen zwanzig und dreißig Jahren, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. Die Autoren versuchten in den Gedichten eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Goethe, Schiller und natürlich die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.

Die Weimarer Klassik ist eine Epoche der deutschen Literaturgeschichte, die von zwei bedeutenden Dichtern geprägt wurde: Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Die Literaturepoche beginnt 1786 mit Goethes Italienreise und endet 1832 mit Goethes Tod. Es gibt aber auch zeitliche Eingrenzungen, die die gemeinsame Schaffenszeit der beiden befreundeten Dichter Goethe und Schiller von 1794 bis zu Schillers Tod 1805 als Weimarer Klassik festlegen. Die Weimarer Klassik wird oft nur als Klassik bezeichnet. Beide Bezeichnungen sind in der Literatur gebräuchlich. Statt auf Konfrontation und Widerspruch wie noch in der Aufklärung oder im Sturm und Drang strebte die Klassik nach Harmonie. Die wichtigsten Werte sind Menschlichkeit und Toleranz. Die Klassik orientierte sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. Ziel der Literaturepoche der Klassik war es die ästhetische Erziehung des Menschen zu einer „charakterschönen“ Persönlichkeit voranzutreiben. In der Gestaltung wurde das Wesentliche, Gültige, Gesetzmäßige aber auch der Ausgleich und die Harmonie gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache häufig roh und derb ist, bleibt die Sprache in der Weimarer Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Die wichtigen Vertreter der Weimarer Klassik sind: Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Johann Gottfried von Herder und Christoph Martin Wieland.

Das vorliegende Gedicht umfasst 179 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 30 Versen. Die Gedichte „Amor und Psyche“, „An Auroren“ und „An den Schlaf“ sind weitere Werke des Autors Johann Gottfried Herder. Zum Autor des Gedichtes „Der Gewinn des Lebens“ haben wir auf abi-pur.de weitere 413 Gedichte veröffentlicht.

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