Der Frühling von Rudolf Lavant
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Gehst du im frühen Lenze durch den Wald, |
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Des Lebens froh im erst so stillen Reiche, |
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So hasten sinnend deine Blicke bald |
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Am frischen Wuchs der nächsten jungen Eiche; |
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Denn neben zarten Laubes grünem Braun, |
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Das aus den Knospen bricht in krauser Fülle, |
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Ist fahles Laub an jedem Zweig zu schau’n – |
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Vom letzten Jahr die abgestorbne Hülle. |
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Es haftet fest und zäh an seinem Ort, |
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Es sträubt verdrossen sich und will nicht weichen; |
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Nur ab und zu führt lose Blätter fort |
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Der laue Frühlingswind als Siegeszeichen, |
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Und eh’ am Boden und auf Weihers Grund |
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Das letzte Blatt vermodert und verrottet, |
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Hat raschelnd es das Blühen in der Rund’, |
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Hat es den Frühling hundertmal verspottet. |
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Und soll das fahle, winterliche Laub |
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Nicht bis zum Sommer seinen Platz bewahren, |
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So muß mit sieghaft-fröhlichem Geschnaub |
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Der Frühlingssturm durch alle Wipfel fahren. |
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Das thut es nicht, das kosend-linde Wehn, |
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Vor dem die Knospen aller Blumen springen; |
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Vor sanftem Hauch wird welkes Laub bestehn – |
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Der Sturm allein kann grüne Eichen bringen! |
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Und niederrauschen muß in warmer Nacht |
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Der Regen auch in dichten schweren Güssen; |
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Dann wird das Laub, das zagend sich und sacht |
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Herausgewagt, gewaltig wachsen müssen. |
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Dann hat für Welkes keinen Platz der Baum, |
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Er kann’s nicht länger neben Grünem tragen – |
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Zu bloßem Spuk, zu bloßem bangen Traum |
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Wird jenes für den Wald nach wenig Tagen. |
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Und ist es anders wohl in der Natur, |
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Als in der Völker, in der Menschheit Leben? |
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Des Neuen spottet oft des Alten Spur, |
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Das trotzig sucht am alten Ort zu kleben, |
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Und in den Frühling einer neuen Zeit |
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Siehst du, gespenstisch fast, das Alte ragen |
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Und höhnend macht ein Überrest sich breit |
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Aus längst vergangnen, überwundnen Tagen. |
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Da gilt es auch, mit froher Sturmesmacht |
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Hinwegzufegen, was da hemmt das Sprießen, |
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Mit milder Fluth in lauer Frühlingsnacht |
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Das junge Laub, das zage, zu begießen; |
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Und kam nach langer winterlicher Noth |
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Herauf des Jahres heißersehnte Wende, |
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So sei auch aufgeräumt mit dem, was todt, |
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Und nicht verzögert sei des Alten Ende! |
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Die Zeit verlangt ein männlich-kühnes Wort – |
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Ihr frommen nicht die Halben und die Lauen, |
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Die rechts und links bedenklich immerfort, |
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Die vor- und rückwärts ängstlich-zaudernd schauen. |
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In unsre Zelte laden die wir ein, |
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Die’s mit dem Neuen treu und ehrlich halten; |
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Wir werden Sturm und warmer Regen sein – |
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Dem Neuen Freund, doch Feind dem Todten, Alten! |
Details zum Gedicht „Der Frühling“
Rudolf Lavant
7
56
390
1893
Naturalismus,
Moderne
Gedicht-Analyse
Dieses Gedicht wurde von Rudolf Lavant verfasst, der zwischen 1844 und 1915 lebte. Dies würde das Werk in die Epoche des Realismus einordnen, die sich durch eine realistische Darstellung der Wirklichkeit und des Alltags, sowie durch eine Betonung von historischer Genauigkeit und Detailtreue auszeichnet.
Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht wie eine Huldigung an den Frühling und der Erneuerung der Natur. Darin beschreibt es anhand von Naturbildern den Zyklus des Lebens, des Alten, das vergeht, um Platz für das Neue zu machen. Der Wechsel der Jahreszeiten, besonders der Frühling, symbolisiert den ewigen Prozess von Tod und Wiedergeburt in der Natur.
Inhaltlich verfolgt das lyrische Ich, wie die Natur im Frühling aufblüht und sich erneuert, und reflektiert dabei über den Zyklus des Lebens und die Vergänglichkeit. Das Gedicht endet mit einer Aufforderung, den Wandel zu umarmen und die Vergangenheit loszulassen. Das lyrische Ich drückt die Überzeugung aus, dass das Alte den Fortschritt oft behindert und dass der volle Einsatz für das Neue erforderlich ist, um Wachstum und Erneuerung zu ermöglichen.
Das Gedicht ist streng formal organisiert, bestehend aus sieben Strophen mit jeweils acht Versen. Die Sprache ist dabei weitgehend verständlich und direkt, mit einer klaren und bildreichen Erzählung. Lavant verwendet starke und farbenfrohe Bilder, um die lebendige und sich ständig verändernde Natur darzustellen, und zieht diese Naturmetaphern konsequent durch, um seine Aussagen über den Wandel und die Notwendigkeit, das Alte loszulassen, zu unterstreichen.
Schließlich kann das Gedicht als eine Reflexion über den Wandel und die Notwendigkeit der Erneuerung gesehen werden, sowohl in der natürlichen Welt als auch in der menschlichen Gesellschaft. Lavant ruft uns dazu auf, den Wandel zu umarmen und das Alte loszulassen, um Platz für das Neue zu machen, ein Gedanke, der besonders in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs oder persönlichen Wandels relevant sein könnte.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Der Frühling“ des Autors Rudolf Lavant. Geboren wurde Lavant im Jahr 1844 in Leipzig. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1893 zurück. In Stuttgart ist der Text erschienen. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das Gedicht besteht aus 56 Versen mit insgesamt 7 Strophen und umfasst dabei 390 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Rudolf Lavant sind „An la belle France.“, „Bekenntnis“ und „Das Jahr“. Zum Autor des Gedichtes „Der Frühling“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 96 Gedichte vor.
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Zum Autor Rudolf Lavant sind auf abi-pur.de 96 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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